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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Günther
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schwarz bekittelte Alte auf die Krawalle an, die sogenannten Osterunruhen, die nach dem Attentat in vielen Großstädten ausgebrochen sind. Cornelius lächelt ausweichend, die Antwort bleibt er schuldig. Man kann ihm seine Zerstreutheit förmlich ansehen, ziellos und fahrig streunt er auf dem Hof herum, ist nur mit dem Körper anwesend und mit den Gedanken woanders.
    bei einem früheren besuch hat man ihn beim köpfen einer weißen henne zuschauen lassen alles spielte sich rasend schnell ab ein griff ein schlag da rannte der körper flügelschlagend über den hof dieweil der kopf auf dem holzstumpf lag der bauer hielt das beil in der hand und lächelte den jungen an ludwig feixte und schlug sich vor freude auf die schenkel
    Die Fenster der Stube im Bauernhaus sind niedrig, es fehlt nicht viel, damit sich Cornelius an der Decke den Kopf anstoßen kann. An einem farbigen Streifen Leimpapier, einer Spirale, die über dem Tisch am konischen Schirm der Glühbirne hängt, haftet eine Traube schwarzer Fliegen, vereinzelt schlägt noch ein geäderter Flügel, zucken feinborstige Insektenbeine. In einem Weidenkorb liegt in einem Kranz gefärbter Eier das weiß bestäubte Osterlamm, aus dem warmen Kuhstall dringt ein betäubender Schwall scharfen Geruchs. Es ist sein letzter Besuch und eine letzte Berührung mit einer ihm fremden Lebensweise. Eigens für ihn sperrt der fromme Bauer mit einem übermäßig großen und schweren Kirchenschlüssel die Kapelle auf und zieht heftig am Glockenseil:
Herr Christus! Du hast für uns getragen Kreuz und Leiden. Christé, eléison! Du bist für uns auferstanden von den Toten. Christé, eléison!
Gemeinsam mit dem Bauern inspiziert Cornelius zum Abschied die gewaltige Muttersau, die ergeben in ihrem Koben flackt, während sich ein halbes Dutzend gieriger Ferkel an den Zitzen zu schaffen macht, und klopft dem gutmütigen Zugpferd auf den braunen, starken Rücken. Schnaubend wenden sich die Tiere ab, als er den Stall verlässt. Im Holzkasten vorm Haus reckt eine Brut hungriger Nestlinge die Hälse und sperrt weit die gelben Schnäbel auf.
    Im Fond der überheizten Blechkarosse, die sein Onkel auf kurviger Strecke durch die Moosdörfer steuert, träumt er ganz in sich gekehrt von einer anderen Welt, von einer anderen Kindheit, sinkt in den heimeligen Wunsch nach einfühlsamen Eltern. Seine Ersatzeltern ahnen nicht, dass sie ihn bald los sein werden; er hat vor, sich aus dem Staub zu machen, und während der Fahrt klammert er sich an den unwahrscheinlichen Gedanken, dass ihn der verständnisvolle Referendar Demuth bei sich aufnehmen könnte. In allen Einzelheiten malt er sich aus, wie er eines Nachts an dessen Haustür klingeln und was er zu dem von seinem Besuch Überraschten sagen wird; der Reihe nach spielt er alle erdenklichen Antworten und Einwände durch. Allmählich spinnt er sich ein in den Kokon seines Wunschtraums und fühlt sich warm darin und behaglich. Indessen lassen seine Erzieher harte, herzlose Worte fallen, geißeln mit höhnischer Verachtung die Rückständigkeit und Verbohrtheit ihrer »gscherten« bäurischen Verwandtschaft, die sie gerade erst, bis auf die greise Großtante, die sich schon frühzeitig in ihre Kammer verzogen hatte, mit überschwänglicher Herzlichkeit verabschiedet hat. Eigentlich verrät ihr kaltes Geschwätz nur kleinbürgerliche Verleugnung der Herkunft, die Scheu vor dem Verlust des einmal erreichten üppigen Wohlstands, doch Cornelius lässt daran ein grausamer Unterton aufhorchen, der ihn im behaglichen Kokon seiner schmachtenden Überlegungen aufstört und trotz der im Auto waltenden Hitze zum Frösteln bringt. Sein Entschluss steht fest, als die ersten Lichter der Stadt aus der Dunkelheit hervorstechen: Lange wird er sich das bornierte, rechthaberische Gerede nicht mehr anhören müssen.
    Bevor sich eine günstige Gelegenheit ergibt, verrinnt aber noch eine geraume Zeit. Im Frühling haben Cornelius’ Zieheltern eine Gartenparzelle gepachtet und widmen seitdem einen großen Teil ihrer Muße dem Unkrautjäten sowie dem gründlichen Ausmerzen von Ungeziefer, obendrein betätigen sie sich als versierte Fallensteller. Systematisch wird nicht nur die Rattenoder Mäuseplage bekämpft, sondern auch ein als Ärgernis empfundenes Rudel umherstreunender Katzen beseitigt. Ludwig fängt nach und nach ein Dutzend der verwilderten Tiere in einer fachmännisch gebauten Falle ein und schafft sie in den nahen Schlachthof, wo ein Veterinärmediziner ihm von früher

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