WattenMord (German Edition)
diesem Heiners geschickt worden, oder?“
„Moment, Moment“, rief Petersen nun. In ihm schrillten sämtliche Alarmglocken. „Wovon sprechen Sie?“
„Sie kenn ich noch gar nicht. Der Heiners schickt sonst immer so gestriegelte Lackaffen, die uns Angst machen sollen.“ Der alte Mann schüttelte das ergraute Haupt. Die dunkelblaue Kapitänsmütze drohte ihm vom Kopf zu rutschen. „Nee, nicht mit mir, einschüchtern lasse ich mich nämlich nicht.“
Wiebke hatte eine Ahnung, woher der Wind wehte. Sie lächelte den alten Mann freundlich an und zeigte ihm ihren Dienstausweis. „Wir kommen von der Kriminalpolizei und haben Frau Frahm wegen einer anderen Sache besucht.“ Um zu vermeiden, dass der Alte Beke Frahm als Kriminelle einschätzte, schob sie eilig hinterher: „Sie ist eine wichtige Zeugin für uns und kann uns bei der Aufklärung eines Verbrechens behilflich sein – deshalb sind wir hier.“
„Sie sprechen nicht zufällig von Holger Heiners, dem Immobilienmakler?“ Petersen wurde hellhörig.
„Doch, doch, junger Mann. Dem gehört der Kasten seit einem knappen Jahr. Er will uns alle hier rausekeln und das Haus abreißen lassen. Wahrscheinlich baut er dann hier Ferienwohnungen oder so‘n Schiet.“ Der Alte winkte ab. „Ein Verbrecher ist das, sag ich Ihnen.“ Er hatte sich in Rage geredet. „Aber mich kriegt der hier nicht raus. Ich hab Wohnrecht auf Lebenszeit, daran ändert auch seine Kündigung nichts.“
„Ich denke, er wird Sie künftig in Ruhe lassen.“ Wiebke bedeutete Petersen, dass es höchste Zeit wurde. Ihre Ungeduld wuchs nun auch. Sie wollte wissen, wie viele Feinde der Mann hatte, den sie am Morgen tot im Großbecken des Multimar gefunden hatten. Und sie wusste auch schon, wen sie ganz unbürokratisch fragen konnte. Als sie auf dem Weg nach Husum waren, wusste Wiebke, dass sie später noch einmal mit Beke Frahm reden mussten. Aber der Staatsanwalt erwartete noch am Vormittag erste Ergebnisse, und die Zeit rann ihnen förmlich durch die Finger.
VIER
Er war das stundenlange Autofahren nicht mehr gewohnt. Doch er war sicher, das Richtige zu tun. Und so war er im Morgengrauen aufgebrochen, nachdem er drei Tassen schwarzen Kaffee in sich hineingekippt hatte. An einer Tankstelle auf dem Weg zur Autobahn versorgte er sich mit belegten Brötchen und einem weiteren Coffee to go, bevor er die Reise antrat, die wahrscheinlich den Rest seines Lebens verändern sollte.
Er, der alte Mann, war gespannt, wie es ihr in den letzten Jahren ergangen war. Viel wusste er nicht von ihr, darüber war er sich im Klaren. Und er wusste auch, dass das zum Teil seine eigene Schuld war. Er hatte den Kontakt zu ihr einschlafen lassen und sich stattdessen total verbittert in die Arbeit gestürzt.
Alles nur, um sein Privatleben zu vergessen.
Aber er war müde geworden, hatte es satt, die Vergangenheit zu verdrängen. Deshalb machte er sich jetzt endlich auf den Weg zu ihr. Er wollte Klarheit haben, wollte wissen, ob sie sich noch zu ihm bekennen wollte. Lange hatte er gezögert und mit sich gehadert. Was, wenn sie nicht auf ihn gewartet hatte, wenn sie sich damit abgefunden hatte, dass er aus ihrem Leben verschwunden war?
Wie würde er reagieren, wenn sie ihm die kalte Schulter zeigte und nichts mehr von ihm wissen wollte, weil sie längst in einem anderen, in ihrem eigenen Leben angekommen war?
Selbstzweifel hatten ihn geplagt, doch schließlich siegte der Wille, sie wiederzusehen. Und so hatte er sich auf den Weg in den Norden gemacht. Und wenn sie ihn fortschicken würde, dann hatte er wenigstens ein paar freie Tage, die er an der See verbringen konnte, bevor er verletzt und gedemütigt den Heimweg antreten würde.
Doch insgeheim hoffte er, dass es nicht so sein würde.
Hermann-Tast-Schule Husum, 10.35 Uhr
Einige Schüler beäugten sie neugierig, als sie durch die gläsernen Türen das Hauptgebäude der Schule am Bahndamm betraten. Mit dem schicken Backsteinsockel, den modernen Wellblechfassadenteilen und den großen Glasflächen erinnerte das Gebäude äußerlich eher an den edlen Verwaltungstrakt eines Großkonzerns als an eine Schule. Sonnenkollektoren, die zur Energiegewinnung dienten, rundeten das Bild von einer zeitgemäßen Bildungseinrichtung ab.
Im Innern vermisste Wiebke den typischen Schulgeruch mit einer Mischung aus Bohnerwachs, verstaubten Lehrbüchern und Butterbroten. Sie blickte sich um. Es hatte sich einiges getan in den Jahren, seitdem sie die Schule verlassen hatte. Nach
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