WattenMord (German Edition)
einen Arbeitsplatz, der offenbar von Peer Hansens Sekretärin benutzt wurde. An dem Schreibtisch saß eine hagere Frau Ende fünfzig. In ihrem braunen Kostüm mit der altmodischen Perlenkette und der Brille erinnerte sie Wiebke an eine strenge Lehrerin. Sie betrachtete die Frau nachdenklich. Hansens Sekretärin schien völlig in ihre Arbeit versunken zu sein. Während ihre rot lackierten Fingernägel über eine flache Tastatur flogen, starrte sie gebannt auf den Monitor. Sie saß vornübergebeugt auf ihrem Stuhl und wirkte mit ihrer grauen Haut und der langen schmalen Nase ein wenig wie eine Spitzmaus.
Erst als Fiete sich vernehmlich räusperte, kehrte sie in die Realität zurück. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie die Störung nicht sonderlich schätzte. Sie betrachtete den Werftarbeiter wie ein lästiges Insekt.
„Moin, Frau Schlick. Ist der Boss da?“, fragte Fiete ein wenig kleinlaut.
Die Spitzmaus warf einen Blick auf die Telefonanlage, die sich am rechten Rand des Tisches befand.
„Telefoniert.“
Offenbar bemerkte sie Wiebke und Petersen erst jetzt. „Haben Sie einen Termin?“
„Das scheint ja hier ganz angesagt zu sein“, brummte Petersen und zückte zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit seine Dienstmarke. „Wir haben ein paar Fragen an Herrn Hansen. Es ist dringend, und wir sind in Eile.“
„Das tut mir leid, ich kann ihn jetzt nicht stören.“ Ihre Stimme klang eiskalt.
„Dann übernehmen wir das für Sie.“ Petersen nickte Fiete zu und gab Wiebke ein Zeichen, dann marschierte er auf die Tür links neben dem Schreibtisch der Sekretärin zu. Sie sprang hektisch auf und warf dabei fast ihren Stuhl um.
„So warten Sie doch, ich werde Sie bei Herrn Hansen anmelden.“ Nun versuchte sie, sich zwischen Petersen und die geschlossene Bürotür zu schieben.
„Nicht nötig, danke.“ Wiebke drückte Hansens Sekretärin sanft aber bestimmt zur Seite, dann standen sie im Büro des Geschäftsführers.
Peer Hansen blickte überrascht auf, nahm Haltung an und murmelte ein eiliges „ich ruf dich wieder an“, ins Telefon, dann legte er auf und widmete sich den Besuchern. Er trug ein blütenweißes Hemd, dazu eine weinrote Krawatte und eine dunkle Stoffhose. Seine Haut war gebräunt, die Hände wirkten gepflegt. Wahrscheinlich war er körperliche Arbeit nicht gewohnt.
„Was fällt Ihnen ein …“, rief er, doch Petersen winkte ab.
„Sie können ganz entspannt bleiben, wir sind von der Kriminalpolizei Husum.“
Wieder kam die Marke zum Einsatz, doch diesmal fand sie keine Beachtung. Hansen funkelte seine Sekretärin böse an. „Frau Schlick, warum haben Sie nicht dafür gesorgt, dass ich …“
„Sie sind gleich durchmarschiert, und ich hatte keine Chance“, murmelte sie, blass vor Angst.
Schlick war der passende Name für diese graue und dennoch arrogante Maus, dachte Wiebke. „Wir haben ein paar Fragen an Sie, Herr Hansen.“ Sie konnte beobachten, wie er um Fassung rang. „Es geht ganz schnell, dann halten wir Sie nicht mehr auf.“
„Also gut.“ Er blickte an den Polizisten vorbei. Fiete hatte längst das Weite gesucht. „Es ist in Ordnung, Frau Schlick. Bitte lassen Sie uns allein.“
Sie nickte stumm und zog sich zurück. Nicht ohne Petersen und Wiebke mit einem letzten wütenden Blick zu bedenken, zog sie die Tür von außen zu.
Hansen wartete einige Sekunden und nestelte an seinem Krawattenknoten herum. Wiebke nutzte die Zeit, sich im Chefbüro der Werft umzublicken. Der Raum war etwa fünfzehn Quadratmeter groß, es gab rechts einen langen Besprechungstisch, auf dem sich Aktenordner stapelten. Die linke Wand wurde von einem deckenhohen Bücherregal eingenommen, in dem Wiebke technische Fachtitel rund um den Schiffsbau entdeckte. Da es sich um ein Eckbüro handelte, gab es zwei große Fensterfronten. Eine lag in Hansens Rücken, die zweite erlaubte einen Blick auf das Werftgelände. Dort unten wurde gehämmert und geschweißt. Ein Gabelstapler rumpelte über den Hof. Es war auffällig, dass es keinerlei persönliche Gegenstände in Hansens Büro gab. Keine Pflanze, kein Bild an der Wand, nicht einmal das Foto seiner Frau auf dem Schreibtisch. Nun, die Erklärung dafür kannte Wiebke.
„Ich werde Ihnen keine Auskünfte geben“, durchbrach Hansen das Schweigen nun. Er verschanzte sich hinter seinem Schreibtisch, ohne den Besuchern Platz anzubieten. „Sollten Sie Fragen stellen wollen, müssen wir auf meinen Anwalt warten.“
„Haben Sie ein schlechtes
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