Waugh, Evelyn
weiß nicht, wo der alte Nudge den Schlüssel hat, und wir kriegen ihn nicht wach.«
»Du und deine Mutter wart in Nudges Schlafzimmer?«
»Charles und ich. Charles habe ich zum Tragen mitgebracht. Er ist gerade unten und versucht, das Schloss aufzubrechen. Ich glaube, Nudge hat ein Schlafmittel genommen, denn er hat sich nur umgedreht und weitergeschnarcht, als wir ihn rüttelten.«
Am Fuß der Treppe führte eine Tür zu den Dienstbotenräumen. Sie ging soeben auf, und ein Wildfremder erschien mit einem Armvoll Flaschen. Basil sah auf einen schlanken, jungen Mann von vielleicht 21 Jahren hinab, mit ungekämmtem, dichtem schwarzem Haar, einem spärlichen Bartkranz um Wangen und Kinn, sehr großen, [433] verächtlich blickenden blauen Augen über grauen Tränensäcken und einem stolzen, recht kindlichen Mund. Er trug ein plissiertes weißes Seidenhemd mit offenem Kragen, eine Flanellhose, eine grüne Schärpe und Sandalen. So grotesk seine Erscheinung war, konnte man sie doch nicht direkt vulgär nennen, und als er sprach, war seine Stimme klar und rein und ganz ohne Akzent.
»Das Schloss ging leicht«, sagte er, »aber ich finde nur Wein. Wo habt ihr denn den Whisky?«
»Himmel, das weiß ich doch nicht«, sagte Barbara.
»Guten Abend«, sagte Basil.
»Oh, guten Abend. Wo haben Sie den Whisky?«
»Ist es eine Verkleidungsparty?«, fragte Basil.
»Nicht direkt«, antwortete der junge Mann.
»Was haben Sie denn da?«
»Irgendwelchen Champagner. Hab nicht auf das Etikett geachtet.«
»Er hat den Cliquot rosé genommen!«, sagte Basil.
»Schlauer Junge«, sagte Barbara.
»Wird schon gehen«, meinte der junge Mann, »obwohl die meisten ja lieber Whisky trinken.«
Basil wollte etwas sagen, fand aber keine Worte.
Barbara deklamierte:
»›Von Tante Jakoba kriegt’ er ’ne Pinte
[434] Lavendelwasser mit roter Tinte,
denn schließlich weiß die ganze Welt,
dass Pumpel auf seine Zehen hält.‹
Komm, Charles, ich glaube, mehr kriegen wir hier nicht. Ich meine schon ein leises Zähneknirschen zu hören.«
Sie hüpfte die Treppe hinunter, winkte ihm aus der Diele zu und war aus dem Haus, noch ehe Basil die Sprache wiedergefunden hatte.
Endlich setzte er, noch schwerfälliger als gewohnt, seinen Weg nach oben fort. Angela lag im Bett und las.
»Du kommst aber früh nach Hause.«
»Peter war da. Sonst außer Ambrose keiner, den ich kannte. Irgendein Trottel hat eine Rede gehalten. Da bin ich gegangen.«
»Sehr klug.«
Basil stellte sich vor Angelas langen Spiegel. Er konnte sie hinter sich sehen. Sie setzte ihre Brille auf und nahm das Buch wieder zur Hand.
»Angela, ich trinke doch zur Zeit nicht viel, oder?«
»Nicht so viel wie früher.«
»Und essen?«
»Mehr.«
»Aber man kann doch sagen, dass ich ein maßvolles Leben führe?«
[435] »Im Großen und Ganzen, ja.«
»Es ist nur das Alter«, sagte Basil. »Aber hol’s der Teufel, ich bin noch keine sechzig.«
»Worüber machst du dir Sorgen, Lieber?«
»Immer wenn ich jungen Männern begegne. Da schnürt sich mir der Hals zu, als ob ich gleich einen Schlaganfall bekomme. Einmal habe ich sowas bei jemandem miterlebt – der muss ungefähr in meinem jetzigen Alter gewesen sein – der Kommandeur des Artilleriebataillons. Schön war das nicht. Und in letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass es mir jeden Moment auch so ergehen kann. Vielleicht sollte ich doch mal in eine Kur gehen.«
»Da komme ich mit.«
»Wirklich, Angela? Du bist eine Heilige.«
»Ob ich nun dort bin oder woanders… Die Kuren sollen ja auch gut gegen Schlaflosigkeit sein. Und das Personal braucht mal Urlaub. Die machen in letzter Zeit alle so schrecklich überarbeitete Gesichter.«
»Babs mitzunehmen hätte keinen Sinn. Wir könnten sie so lange nach Malfrey schicken.«
»Ja.«
»Angela, ich habe heute Abend einen ganz schrecklichen jungen Mann mit so was wie einem Bart gesehen – hier im Haus, einen Freund von Babs. Sie nannte ihn ›Charles‹.«
[436] »Ja, irgendein neuer.«
»Wie heißt er sonst noch?«
»Ich hab’s nicht richtig gehört. Klang so ähnlich wie eine Hundemeute, mit der ich mal auf einer Fuchsjagd war. Ach ja – Albrighton.«
»Albright«, rief Basil, und die unsichtbare Schlinge zog sich fester. »Albright, mein Gott!«
Angela sah ihn aufrichtig besorgt an. »Hör mal«, sagte sie, »du siehst wirklich merkwürdig aus. Am besten gehen wir sofort in so eine Hungerkur.«
Aber was sich wie ein Todesröcheln angehört hatte, verwandelte sich
Weitere Kostenlose Bücher