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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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den Club mitgenommen und verlesen, und nach einigen Tagen nahm die Anspannung ab und wich der allgemeinen Empfindung, dass das Drama prosaisch geworden war.
    »Die müssen mit dem Preis runtergehen. Einstweilen ist das Mädchen halbwegs sicher«, verkündete Major Lepperidge und sprach damit autoritativ aus, was alle in der Gemeinschaft schon lange unausgesprochen im Hinterkopf hatten.
    Das städtische Leben kehrte äußerlich wieder in die normalen Bahnen zurück – Verwaltung, Sport, Klatsch; das zweite Ohr des amerikanischen Missionars traf ein und erregte wenig [74] Aufsehen außer bei Mr. Youkoumian, der ein Hörrohr an die Missionszentrale zu verkaufen versuchte. Die Damen der Kolonie gaben das eingesperrte Leben auf, das sie sich nach dem anfänglichen Schreck auferlegt hatten; die Männer gebärdeten sich weniger beschützerisch und blieben wie ehedem bis spätabends im Club.
    Dann trat eine Entwicklung ein, die das Interesse an der Gefangenen wiederbelebte. Sam Stebbing knackte den Code.
    Er war ein kränklicher junger Mann mit hohen akademischen Meriten, der unlängst aus Cambridge gekommen war, um bei Grainger in der Einwanderungsbehörde zu arbeiten. Von Anfang an hatte er ein stärkeres Interesse an der Situation gezeigt als die meisten seiner Kollegen. Zwei drückend heiße Wochen lang brütete er bis tief in die Nacht über dem Text von Prunellas Mitteilungen; dann wartete er mit der überraschenden These auf, es gäbe einen geheimen Code. Das System, mit dem er ihn dechiffriert hatte, war alles andere als einfach. Er war gern bereit, es zu erklären, aber bei seinen Ausführungen verloren die Zuhörer regelmäßig den Faden und begnügten sich mit der Lösung.
    »…man übersetzt es ins Lateinische, nicht wahr, bildet ein Anagramm des ersten und letzten [75] Wortes der ersten Mitteilung, des zweiten und vorletzten der dritten, von der Mitte aus gezählt. Ich wette, da haben sich die Banditen die Zähne dran ausgebissen…«
    »Ganz bestimmt. Zumal von denen sowieso keiner lesen kann…«
    »In der vierten Mitteilung dann kehrt man zum anfänglichen System zurück und nimmt das vierte Wort und das vorvorvorletzte…«
    »Ja, ja, verstehe. Müssen Sie gar nicht weiter erklären. Verraten Sie uns einfach, wie die wirkliche Botschaft lautet.«
    »Sie lautet: › TÄGLICH SCHLIMMER ALS TOD BEROHT .‹
    An dem Punkt hat sich ein Fehler in ihr System eingeschlichen, es muss ›bedroht‹ heißen; dann kommt ein Wort, das ich nicht verstehen kann: PLZGF, zweifellos hat die Ärmste das in großer Erregung geschrieben, und danach › VERTRAUE AUF MEINEN KÖNIG ‹.«
    Dies wurde allgemein als Triumph gewertet. Die Männer überbrachten die Neuigkeit ihren Frauen.
    »…Verdammt raffiniert, wie Stebbing das aufgedröselt hat. Ich will es dir gar nicht groß erklären. Du würdest es eh nicht verstehen. Das Fazit ist jedenfalls sonnenklar. Miss Brooks ist in [76] schrecklicher Gefahr. Wir müssen was unternehmen.«
    »Aber wer hätte gedacht, dass die kleine Prunella so schlau ist…«
    »Ach, ich hab ja schon immer gesagt, das Mädel hat Grips.«
    VI
    Die Meldung von der Entschlüsselung wurde von den Presseagenturen in der ganzen zivilisierten Welt verbreitet. Anfangs hatte die Angelegenheit weithin Beachtung erfahren. Zwei Tage lang war sie, mit Porträt, auf der Titelseite des Excess gewesen, dann mit Porträt auf der zweiten Seite, dann ohne Porträt weiter unten auf der zweiten Seite und schließlich, mit täglich abnehmendem Sensationswert, auf Seite drei. Der Code hauchte der Geschichte neues Leben ein. Stebbing erschien mit Porträt auf der Titelseite. Die Zeitung erbot sich, zehntausend Pfund zum Lösegeld beizusteuern, und ein Starjournalist reiste aus heiterem Himmel mit dem Flugzeug an, um die Verhandlungen zu führen und darüber zu berichten.
    Es war ein resoluter junger Mann australischer [77] Herkunft, und mit seiner Landung kam augenblicklich Schwung in die Sache. Die Kolonie begrub ihre gewohnte Feindschaft gegenüber der Presse, nahm ihn in den Club auf und füllte seine freie Zeit mit Cocktailpartys und Tennisturnieren aus. Er übernahm sogar Lepperidges Position als Autorität in weltpolitischen Themen.
    Doch sein Aufenthalt war von kurzer Dauer. Am ersten Tag interviewte er Mr. Brooks und jeden, der in der Stadt etwas zu sagen hatte, und kabelte eine »menschelnde« Rührgeschichte über Prunellas Stellung im Herzen der Kolonie nach Hause. Von da an war Miss Brooks für gut drei Millionen

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