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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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einigen Wochen wurde der wachsamen Kolonie klar, dass nur noch zwei Bewerber in der engeren Auswahl standen: Mr. Kentish, der stellvertretende Eingeborenenkommissar, und Mr. Benson, Leutnant in der Eingeborenenmiliz; nicht dass Prunella zu allen anderen [66] etwa nicht durchweg charmant gewesen wäre – selbst zu dem zwielichtigen Müßiggänger und dem abstoßenden Mr. Jagger –, aber diverse kleine Gunstbeweise ließen erkennen, dass Kentish und Benson ihre Favoriten waren. Und die Beobachtung dieser unschuldigen Tändeleien verlieh dem gesellschaftlichen Leben der Stadt mit einem Mal neuen Reiz. Bis dahin hatte es sicherlich vielerlei Betätigungsmöglichkeiten gegeben – Reiterspiele und Tennisturniere, Tanzvergnügen und Abendgesellschaften, Besuche und Klatsch, Amateuropern und Kirchenbasare –, doch es waren zumeist freudlose Pflichtübungen gewesen. Alle wussten, was von Engländern im Ausland erwartet wurde; sie mussten vor den Eingeborenen und ihren Mitprotektionisten die Fassade wahren; sie mussten etwas haben, was sie in die Heimat schreiben konnten; und so gingen sie unbeirrt den immergleichen standesgemäßen Freizeitbeschäftigungen nach. Aber seit Prunellas Ankunft lag eine neue Leichtigkeit in der Luft; es gab mehr Feste und mehr Tänze und Lust zu allem Möglichen. Mr. Brooks, der sonst nie außer Haus gespeist hatte, wurde plötzlich überall eingeladen, und wie seine frühere Ausgrenzung ihn nicht gestört hatte, so fasste er seine neue Popularität als natürliche Folge des Charmes seiner Tochter auf [67] und war deswegen geschmeichelt und leicht verlegen. Er machte sich klar, dass sie in Bälde den Wunsch verspüren würde zu heiraten, und sah der Perspektive seiner unvermeidlichen Rückkehr zum einsamen Leben mit Gleichmut entgegen.
    Unterdessen rannten Benson und Kentish Kopf an Kopf durch den dichten Terminplan des azanischen Frühlings, und niemand konnte mit Sicherheit sagen, wer die Nase vorn hatte – die Wetten standen knapp zugunsten Bensons, der auf den Bällen im Caledonian und im Poloclub mit ihr tanzte –, als sich der Zwischenfall ereignete, der die Gemüter in Azania zutiefst erschütterte. Prunella Brooks wurde gekidnappt.
    Die Umstände waren dunkel und ein bisschen zwielichtig. Prunella, die sich, soweit bekannt, nie auch nur den klitzekleinsten Verstoß gegen den kolonialen Sittenkodex geleistet hatte, war allein in die Berge ausgeritten. So viel war von Anfang an klar, und später im Kreuzverhör verriet ihr Stallknecht, dass sie dies schon eine ganze Weile so gehalten hatte, zwei- oder dreimal die Woche. Der Schock ihrer Regelverletzung war fast so groß wie der Schock ihres Verschwindens.
    Doch es sollte noch schlimmer kommen. Eines Abends im Club wurde in Mr. Brooks’ Abwesenheit (seine Popularität war in den letzten Tagen [68] zurückgegangen, und man fühlte sich in seiner Anwesenheit empfindlich gehemmt) die Frage von Prunellas heimlichen Ausritten freimütig diskutiert, als sich eine leicht angesäuselte Stimme in den Wortwechsel einschaltete.
    »Irgendwann kommt’s ja sowieso raus«, sagte der Müßiggänger aus Kenia, »da kann ich es Ihnen auch gleich sagen. Prunella ist immer mit mir ausgeritten. Sie wollte nicht, dass wir ins Gerede kommen, deshalb haben wir uns auf der Straße nach Debra Dowa bei den moslemischen Gräbern getroffen. Diese Nachmittage werden mir wirklich sehr fehlen«, sagte der Müßiggänger mit einem leichten alkoholisierten Zittern in der Stimme, »und an dem, was passiert ist, gebe ich mir in hohem Maße die Schuld. Ich muss an dem Morgen, nicht wahr, ein bisschen mehr getrunken haben, als gut für mich war, und bei der Hitze bin ich wohl eingeschlafen, als ich mir die Reithosen anziehen wollte, und erst am Abend wieder aufgewacht. Und jetzt werden wir sie vielleicht im Leben nicht wiedersehen…«, und zwei dicke Tränen rollten ihm über die Wangen.
    Dieses unmännliche Schauspiel wahrte den Frieden, denn Benson und Kentish waren bereits in drohender Haltung auf den Müßiggänger zugeschritten. Aber es bietet wenig Befriedigung, [69] jemandem an den Kragen zu gehen, der ohnehin schon in tiefem Selbstmitleid versunken ist, und der scharfe Ton von Major Lepperidge rief sie zur Ordnung. »Benson, Kentish, ich will nicht bestreiten, dass ich nachfühlen kann, was in euch vorgeht, und ich weiß genau, was ich unter den Umständen tun würde. Die Geschichte, die wir gerade gehört haben, mag stimmen oder nicht. So oder so weiß ich,

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