Waugh, Evelyn
anbieten.
Obwohl sie sich mit verächtlichen Betrachtungen über den Stammbaum der Gastgeberinnen [97] zu trösten pflegte, so verdross es sie doch sehr, sobald sie von einer Gesellschaft bei Nachbarn hörte, zu der sie nicht eingeladen worden war.
Und so kam es also, dass Bella, die mit der Irish Times unter dem Bild Abraham Lincolns saß und über die kahlen Bäume zu den Hügeln dahinter blickte, es sich in den Kopf setzte, eine Gesellschaft zu geben. Sie stand sofort auf und humpelte durchs Zimmer und zur Klingelschnur. Bald darauf trat ihr Diener ins Damenzimmer; er trug die grüne Drellschürze, in der er immer das Silber putzte, und in der Hand hatte er den Polierlappen, um ihr die Unbotmäßigkeit ihrer Forderung nachdrücklich klarzumachen.
»Haben Sie geläutet?«, fragte er.
»Ja, wer denn sonst?«
»Und ich bin beim Silber!«
»Riley«, sagte Bella etwas feierlich, »ich habe vor, zu Weihnachten einen Ball zu geben.«
»In der Tat«, sagte der Hausmeister. »Weshalb wollen Sie denn in Ihrem Alter noch tanzen?« Doch als Bella ihm die Einzelheiten auseinandersetzte, trat ein wohlwollendes Leuchten in seine Augen:
»Solch einen Ball hat die Nachbarschaft seit fünfundzwanzig Jahren nicht erlebt! Das kostet ein Vermögen!«
[98] »Er soll tausend Pfund kosten!«, sagte Bella stolz.
Die Vorbereitungen waren natürlich ungeheuer. Sieben neue Dienstboten wurden im Dorf ausgehoben und mussten an die Arbeit, mussten entstauben und säubern und polieren und Möbel verrücken und Teppiche rollen. Ihr Fleiß enthüllte nur weiteren Bedarf: Stukkatur-Friese, die schon längst morsch waren, zerbröckelten unter der Berührung des Staubwedels; vom Holzwurm zerfressene Mahagoni-Dielen brachen mit den Teppichnägeln aus dem Fußboden; hinter den Kabinettschränken im großen Salon bestanden die Wände aus rohem Ziegelstein. Eine zweite Woge spülte eine Invasion von Malern, Tapezierern und Spenglern heran, und in einem überschwenglichen Augenblick ließ Bella in der großen Halle den Stuck und die Kapitelle aller Säulen neu vergolden; Fensterscheiben wurden ersetzt, Geländerdocken in gähnende Lücken eingepasst, und der Treppenläufer wurde so verschoben, dass die abgetretenen Streifen weniger ins Auge fielen.
Bei all diesen Arbeiten war Bella unermüdlich. Sie humpelte vom Salon in die Halle, die lange Galerie hinab, die große Treppe hinauf, tadelte die Mietsdiener, legte bei den leichteren Möbelstücken Hand an und glitt, als es so weit war, auf [99] dem Mahagoni-Fußboden des Salons umher, um das Talkpulver einzureiben. Auf dem Dachboden kramte sie das Silber aus den Truhen, fand mehrere längst vergessene Porzellanservices und stieg mit Riley in den Keller, um die letzten paar Flaschen Champagner zu prüfen, der schal und sauer geworden war. Und an den Abenden, wenn die erschöpften Handwerker sich ihren vulgären Zerstreuungen überließen, saß Bella noch bis spät in die Nacht hinein und blätterte in Kochbüchern, verglich die Kostenvoranschläge verschiedener Lebensmittellieferanten, verfasste lange und ausführliche Briefe an die Agenten für Tanzkapellen, und was am allerwichtigsten war, sie stellte die Liste ihrer Gäste zusammen und versah zwei hohe Stöße geprägter Einladungskarten mit Adressen.
Entfernungen haben in Irland nicht viel zu besagen. Man fährt gerne drei Stunden, nur um einen Nachmittagsbesuch abzustatten, und für einen Ball von solcher Bedeutung war keine Reise zu weit. Bella hatte ihre Liste mühsam an Hand von amtlichen Registern und Rileys etwas jüngeren Kenntnissen der irischen Gesellschaft und ihrem eigenen, plötzlich neu belebten Gedächtnis zusammengestellt. Fröhlich und mit gleichmäßiger Kinderhandschrift übertrug sie alle die Namen auf die Karten und Umschläge. Es war [100] das Werk mehrerer langer Abende. Viele Leute, deren Namen sie niederschrieb, waren gestorben oder ans Bett gefesselt; manche, an die sie sich noch gerade als kleine Kinder erinnern konnte, saßen in entfernten Winkeln der Erde und warteten auf den Ruhestand. Viele Häuser, deren Namen sie auf die Umschläge setzte, waren nur noch rauchgeschwärzte, leere Höhlen, da sie während der Unruhen in Flammen aufgegangen und nie wieder aufgebaut worden waren; in einigen lebten jetzt Bauern. Doch endlich, und nicht zu früh, war die letzte Adresse auf den letzten Umschlag geschrieben worden. Nun noch das Verschließen und Frankieren, und dann erhob sie sich von ihrem Pult; es war später als
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