Waugh, Evelyn
sonst. Die Glieder waren ihr steif, die Augen trübe, die Zunge klebte vom Leim der Briefmarken des Irischen Freistaates; es wurde ihr ein wenig schwindlig, doch verschloss sie an jenem Abend den Pultdeckel ihres Sekretärs in dem Bewusstsein, die wichtigste Arbeit für ihre Gesellschaft hinter sich gebracht zu haben. Sie hatte mehrere denkwürdige und wohlerwogene Streichungen auf der Liste vorgenommen.
»Stimmt das Gerücht, dass Bella Fleace eine Gesellschaft gibt?«, erkundigte sich Lady Gordon [101] bei Lady Mockstock. »Ich habe keine Einladung erhalten.«
»Ich auch noch nicht. Hoffentlich hat uns die Alte nicht vergessen? Ich werde ganz bestimmt hingehen. Habe das Haus noch nie von innen gesehen. Ich glaube, sie hat ein paar entzückende Sachen.«
Und die englische Dame, deren Gatte Mock-House gepachtet hatte, ließ sich in echt englischer Reserviertheit überhaupt nicht anmerken, dass in Fleacetown eine Gesellschaft gegeben werden sollte.
Als das Ereignis näher rückte, konzentrierte sich Bella mehr auf ihre äußere Erscheinung. Sie hatte sich in den letzten Jahren wenig neue Kleider angeschafft, und die Dubliner Schneiderin, bei der sie hatte arbeiten lassen, hatte ihr Geschäft aufgegeben. Eine Sekunde lang kam ihr die verrückte Idee einer Reise nach London oder gar nach Paris, und nur in Anbetracht der knappen Zeit sah sie notgedrungen von dem Plan ab. Schließlich entdeckte sie ein Geschäft, das ihr zusagte, und kaufte sich dort eine ganz prachtvolle Robe aus rotem Atlas, die sie durch lange weiße Handschuhe und Atlasschuhe ergänzte. Es befand sich, ach, leider kein Diadem unter ihren Schmucksachen, aber [102] sie brachte eine Unzahl funkelnder viktorianischer Ringe ans Tageslicht, auch ein paar Ketten und Medaillons, Perlbroschen und Türkisohrringe und ein Granathalsband. Aus Dublin ließ sie einen Friseur kommen.
Am Morgen des Balltages erwachte sie frühzeitig, war vor nervöser Erregung etwas fiebrig, warf sich im Bett herum, bis nach ihr verlangt wurde, und wiederholte sich in ihrem rastlosen Geist alle Einzelheiten der Vorbereitungen. Bis zum Mittagessen hatte sie das Aufstecken von Hunderten von Kerzen in den Wandleuchtern im Ballsaal und Esssaal und in den drei großen Kronleuchtern aus geschliffenem Waterford-Kristall beaufsichtigt; sie hatte zugesehen, wie die Esstische mit Glas und Silber gedeckt und die massiven Weinkühler neben das Büfett gestellt wurden; sie hatte geholfen, die große Halle und die Treppe mit einer Fülle von Chrysanthemen zu verschönern. Das Mittagessen ließ sie ausfallen, obwohl Riley ihr gern Kostproben der bereits eingetroffenen Delikatessen aufgenötigt hätte. Sie fühlte sich ein wenig matt und ruhte ein Weilchen, raffte sich aber bald wieder auf, um eigenhändig die wappengeschmückten Knöpfe auf die Livreen der Mietsdiener zu nähen.
Die Einladungen lauteten auf acht Uhr. Sie [103] fragte sich, ob es nicht zu früh sei – sie hatte neuerdings von Gesellschaften sprechen hören, die erst sehr spät begannen; aber als der Nachmittag sich so unerträglich hinschleppte und schließlich sattes Dämmerlicht das Haus umfing, war Bella froh, dass sie die aufreibende Wartezeit befristet hatte.
Um sechs Uhr ging sie nach oben, um sich umzukleiden. Der Friseur kam mit einem Sack voller Brennscheren und Kämme. Er bürstete und wellte ihr Haar und toupierte es und hantierte damit herum, bis es ordentlich in Form war und viel voller als sonst wirkte. Sie legte all ihren Schmuck an, und als sie vor den Standspiegel trat, konnte sie einen Laut der Überraschung nicht unterdrücken. Dann humpelte sie nach unten.
Das Haus sah herrlich aus im Kerzenschimmer. Die Tanzkapelle war da, und die zwölf Mietsdiener, und Riley in Kniehosen und schwarzen Seidenstrümpfen.
Es schlug acht. Bella wartete. Keiner kam.
Sie setzte sich auf einen vergoldeten Stuhl am oberen Treppenpodest und blickte mit ihren leeren blauen Augen starr vor sich hin. Die Mietsdiener in der Halle und in der Garderobe und im Esssaal blinzelten einander wissend zu. »Was glaubt denn das alte Mädchen? Vor zehn Uhr ist [104] kein Mensch fertig und zum Kommen bereit.« Die Fackelträger auf der Vortreppe stampften mit den Füßen und rieben sich die Hände.
Um halb eins erhob sich Bella von ihrem Stuhl. Ihr Gesicht verriet nicht im mindesten, was sie dachte.
»Riley, ich glaube, ich esse etwas. Ich fühle mich nicht besonders wohl.«
Sie humpelte langsam in den Esssaal.
»Bringen Sie mir eine
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