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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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Hoffnung. Die Tage vergingen in immer derselben Weise: Kaffee bei Sonnenaufgang, ein untätig verbrachter Vormittag, während Mr. McMaster auf der Farm herumtrödelte, Mehl und Passo zum Mittagessen, Dickens am Nachmittag, Mehl und Passo und manchmal Obst zum Abendessen, Stille von Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung, der kleine Docht brannte im Rindertalg, und über dem Kopf das Palmblätterdach war kaum noch zu erkennen. Aber Henty lebte in vertrauensvoller Gelassenheit und Erwartung.
    [145] Irgendwann, in diesem Jahr oder im nächsten, würde der Goldsucher mit der Nachricht von seiner Auffindung ein brasilianisches Dorf erreichen. Das Unglück der Anderson-Expedition konnte nicht unbeachtet geblieben sein. Henty sah die Schlagzeilen der Zeitungen schon vor sich. Wahrscheinlich durchkämmten noch immer Suchtrupps die Gegend, die er durchquert hatte. Jeden Tag konnten englische Stimmen über die Savanne hallen und ein Dutzend freundliche Kundschafter durch den Busch brechen. Selbst während des Lesens, wenn seine Lippen mechanisch den gedruckten Zeilen folgten, wandten sich seine Gedanken von seinem begierigen, verrückten Gegenüber ab, und er begann, sich Einzelheiten seiner Rückkehr auszumalen – die allmählichen Wiederbegegnungen mit der Zivilisation (in Manaus rasierte er sich, kaufte neue Kleidung, ließ sich telegrafisch Geld überweisen, bekam Glückwunschdepeschen, er genoss die bequeme Reise flussabwärts nach Belem und den großen Ozeandampfer nach Europa, er tat sich gütlich an gutem Burgunder, frischem Fleisch und jungem Gemüse, das Wiedersehen mit seiner Frau machte ihn nervös, er wusste nicht, wie er sie anreden sollte… » Liebling, du warst viel länger weg, als du gesagt hast! Ich dachte schon, du bist verschollen…«)
    [146] Und dann wurde er von Mr. McMaster unterbrochen: »Dürfte ich Sie bitten, diese Stelle noch einmal zu lesen? Sie gefällt mir besonders gut.«
    Die Wochen vergingen. Keine Rettung in Sicht, doch Henty hielt den Tag aus in der Hoffnung auf das, was der nächste Tag bringen konnte. Er empfand sogar eine gewisse Herzlichkeit für seinen Gastgeber und war daher durchaus bereit, mit ihm zu gehen, als dieser eines Abends, nach einer langen Beratung mit einem indianischen Nachbarn, vorschlug, ein Fest zu feiern.
    »Heute ist einer der Festtage hier in der Gegend«, erklärte er, »und sie haben Piwari gemacht. Vielleicht schmeckt es Ihnen nicht, aber Sie sollten es mal probieren. Heute Abend gehen wir hinüber in das Haus dieses Mannes.«
    Nach dem Abendessen gesellten sie sich also zu einer Gruppe von Indianern, die sich in einer der Hütten am anderen Ende der Savanne um das Feuer versammelt hatten. Sie sangen monotone, apathische Weisen und ließen eine große Kalebasse von Mund zu Mund gehen. Für Henty und Mr. McMaster wurden besondere Schalen hereingebracht, und sie durften sich auf Hängematten setzen.
    »Sie müssen alles auf einmal austrinken. Das ist hier Sitte.«
    [147] Henty kippte die dunkle Flüssigkeit hinunter und versuchte, nicht auf ihren Geschmack zu achten. Aber sie schmeckte nicht einmal unangenehm, herb und erdig, wie die meisten brasilianischen Getränke, doch mit einem Aroma von Honig und dunklem Brot. Er lehnte sich in die Hängematte zurück und fühlte sich ungewöhnlich wohl. Vielleicht hatte in genau diesem Moment ein Suchtrupp nur noch ein paar Wegstunden entfernt sein Lager aufgeschlagen. Doch ihm war jetzt warm, und er fühlte sich schläfrig. Der Singsang der Indianer schien endlos wie eine Liturgie. Eine neue Kalebasse mit Piwari wurde ihm gebracht, und er gab sie geleert zurück. Er lag ausgestreckt da und beobachtete, als die Shiriana zu tanzen begannen, das Spiel der Schatten auf dem Palmdach. Dann schloss er die Augen, dachte an England und seine Frau und schlief ein.
    Er erwachte, noch immer befand er sich in der Indianerhütte, mit dem Gefühl, über die gewohnte Stunde hinaus geschlafen zu haben. Der Stand der Sonne sagte ihm, dass es spät am Nachmittag war. Außer ihm war niemand anwesend. Er wollte auf seine Uhr sehen und stellte mit Erstaunen fest, dass sie nicht an seinem Handgelenk war. Er hatte sie wohl im Haus gelassen, bevor er zum Fest gegangen war.
    [148] »Ich muss gestern Abend blau gewesen sein«, sagte er sich. »Heimtückisches Zeug, das.« Er hatte Kopfschmerzen und befürchtete einen erneuten Fieberausbruch. Als er die Füße auf die Erde setzte, merkte er, dass er nur mit Mühe stehen konnte. Sein Gang war

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