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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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unsicher und sein Geist verwirrt, genau wie in den ersten Wochen seiner Rekonvaleszenz. Auf dem Weg über die Savanne musste er mehrmals anhalten, die Augen schließen und tief Atem holen. Als er das Haus erreichte, stieß er auf Mr. McMaster.
    »Ah, Sie haben sich heute Nachmittag zum Vorlesen ein wenig verspätet, mein Freund. Es ist nur noch eine knappe halbe Stunde hell. Wie fühlen Sie sich?«
    »Schauderhaft. Ich hab das Getränk anscheinend nicht vertragen.«
    »Ich werde Ihnen etwas geben, damit Sie sich besser fühlen. Der Urwald hat Mittel gegen alles, zum Aufwachen und zum Einschlafen.«
    »Haben Sie irgendwo meine Uhr gesehen?«
    »Vermissen Sie sie denn?«
    »Ja. Ich dachte, ich hätte sie an. Menschenskind, so lange hab ich ja noch nie geschlafen.«
    »Das letzte Mal wohl als Baby. Wissen Sie, wie lange? Zwei Tage.«
    »Unsinn. Unmöglich.«
    [149] »Doch, Tatsache. Sie haben sehr lange geschlafen. Schade, Sie haben nämlich unsere Gäste verpasst.«
    »Gäste?«
    »Tja, während Sie schliefen, war es hier ganz lustig. Drei Männer von der Außenwelt. Engländer. Es ist schade, dass Sie sie verpasst haben. Auch schade für sie, denn sie haben sich ausdrücklich nach Ihnen erkundigt. Aber was konnte ich schon machen. Sie haben so tief geschlafen. Sie waren sehr weit gereist, um Sie zu finden, und da Sie sie nicht selbst begrüßen konnten, gab ich ihnen – ich denke, das war ganz in Ihrem Sinn – als kleines Andenken Ihre Uhr mit. Sie wollten etwas nach England mitnehmen für Ihre Frau, die für Nachrichten über Sie eine Belohnung ausgesetzt hat. Sie waren sehr erfreut. Und von dem kleinen Kreuz, das ich zum Gedenken an Ihre Ankunft aufstellte, haben sie ein paar Fotos gemacht. Auch das hat ihnen sehr gefallen. Überhaupt waren sie sehr leicht zu erfreuen. Aber ich glaube nicht, dass sie uns wieder besuchen werden, unser Leben hier ist so abgeschieden. Keine Vergnügungen hier außer Lesen… Ich glaube nicht, dass wir jemals wieder Besucher haben werden… Na ja, dann werde ich mal Medizin holen, damit es Ihnen wieder bessergeht. Sie [150] haben Kopfschmerzen, stimmt’s? Heute werden wir auf Dickens verzichten… aber morgen dann und übermorgen und überübermorgen. Wir wollen Klein Dorrit noch einmal lesen. In dem Buch gibt es Stellen, da bin ich immer den Tränen nahe.«

[151] Auf Posten
    I
    Millicent Blade nannte einen beachtlichen naturblonden Haarschopf ihr Eigen; sie war fügsam und zärtlich, und ihr Mienenspiel konnte blitzschnell zwischen Liebenswürdigkeit und Lachen, zwischen Lachen und respektvollem Interesse hin und her wechseln. Doch eines machte sie mehr als alles andere der gefühlsduseligen angelsächsischen Männerwelt lieb und teuer, und das war ihre Nase.
    Diese Nase war nun keineswegs nach jedermanns Geschmack; so mancher wünscht da etwas mehr Statur; für Maler war die Nase wenig reizvoll, war sie doch viel zu klein und gänzlich ohne Form, ein weicher Klecks ohne jegliches erkennbare Knochengerüst; eine Nase, kurz gesagt, die es ihrer Trägerin unmöglich machte, sich hochmütig oder imposant oder schlau zu geben. Es war keine Nase für eine Gouvernante oder Cellistin, [152] nicht einmal für eine Postbeamtin, aber für Miss Blade war sie gerade recht, denn solch eine Nase vermochte durch die dünne, rauhe Schale englischer Männerherzen bis mitten hinein in ihren weichen, warmen Kern zu dringen; sie lenkte ihre Gedanken zurück in die Schulzeit und zu den mehlgesichtigen kleinen Mädchen, an die sie ihre ersten zarten Gefühle vergeudeten, zurück zu Umkleideraum und Kirche und verbeulten Strohhüten. Zwar mag es stimmen, dass drei von fünf Engländern auf diese Erinnerungen mit der Zeit herabblicken und Nasen bevorzugen, die in der Öffentlichkeit mehr hermachen, doch zwei von fünf – das ist ein Schnitt, mit dem ein Mädchen von bescheidenem Vermögen wohl einigermaßen zufrieden sein kann.
    Hector küsste sie ehrfürchtig auf die Nasenspitze. Und sowie er das getan hatte, begannen seine Sinne, wild im Kreis zu wirbeln, und er sah im momentanen Taumel das schwindende Licht eines Novembernachmittags und die kalten Nebel über dem Rugbyplatz; überhitzte Jünglinge im Gedränge um den Ball; unterkühlte Jünglinge hinter den Linien, wo sie ihre kalten Füße auf den Planken vertraten, sich die Finger warm rieben und, wenn sie gerade keine Kekskrümel mehr im Mund [153] hatten, ihre Mannschaft zu größerem Eifer anfeuerten.
    »Du wirst doch auf mich warten?«, fragte

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