Waugh, Evelyn
legte auf eine, wie er gelernt hatte, sehr gewinnende Weise den Kopf schief. Und wenn Millicent dann das Gespräch begann, drängelte er sich unter ihren Arm und stupste mit der Schnauze an den Hörer.
»Pass mal auf«, sagte sie dann, »da will noch jemand mit dir reden. Ist er nicht goldig?« Damit reichte sie den Hörer nach unten, und sofort schlug dem jungen Mann am andern Ende ein ohrenzerfetzendes Bellen entgegen. Millicent gefiel das so, dass sie oft nicht einmal abwartete, bis sie den Namen des Anrufers erfuhr, sondern den Hörer gleich nach dem Abheben vor die schwarze Schnauze hielt, und manch bedauernswerter Jüngling, der sich eine halbe Meile entfernt vielleicht um diese frühe Morgenstunde noch gar nicht richtig wohl in seiner Haut fühlte, ward niedergebellt, noch ehe er ein Wort gesagt hatte.
Andere junge Männer, die der Nase verfielen, lauerten Millicent im Hyde Park auf, wenn sie [166] Hector ausführte. Zuerst verlief sich Hector dann, raufte mit anderen Hunden oder biss kleine Kinder, nur damit man ihn keinen Moment aus den Augen lassen konnte; doch bald schlug er einen sanfteren Weg ein: Er bestand darauf, Millicents Handtasche zu tragen. Damit trottete er vor dem Paar her, und sowie er eine Störung für angezeigt hielt, ließ er die Tasche fallen; der junge Mann fühlte sich verpflichtet, sie aufzuheben und zuerst Millicent, dann auf ihr Verlangen dem Hund wieder auszuhändigen. Nur wenige junge Männer waren unterwürfig genug, sich für mehr als einen Spaziergang solch demütigenden Umständen auszusetzen.
So vergingen zwei Jahre. Regelmäßig kamen Briefe aus Kenia, voller Liebeserklärungen und kleinen Katastrophenmeldungen – Trockenfäule im Sisal, Heuschrecken im Kaffee, Ärger mit den Arbeitern, der Regionalverwaltung, dem Weltmarkt. Hin und wieder las Millicent den Brief laut dem Hund vor, meist ließ sie ihn ungelesen auf dem Frühstückstablett liegen. Sie und Hector wandelten gemeinsam durch den müßigen Alltag des englischen Gesellschaftslebens. Überall, wohin sie ihre Nase trug, verliebten sich prompt zwei von fünf heiratsfähigen Männern wenigstens vorübergehend; und überall, wohin ihr Hector [167] folgte, machte die Leidenschaft bald Ärger, Scham und Widerwillen Platz. Schon bemerkten Mütter selbstzufrieden, es sei doch eigenartig, dass diese hinreißende kleine Blade-Tochter nicht unter die Haube komme.
VI
Schließlich, im dritten Jahr seines Regimes, präsentierte sich Hector ein neues Problem in Gestalt des Baronets und Unterhausabgeordneten Major Sir Alexander Dreadnought, und Hector sah sofort, dass er es da mit einem weitaus schwierigeren Fall zu tun bekam als allen, mit denen er sich bisher zu befassen gehabt hatte.
Sir Alexander war kein Jüngling mehr, sondern ein fünfundvierzigjähriger Witwer. Er war wohlhabend, angesehen und von übermenschlicher Geduld; außerdem war er jemand – immerhin Jagdmeister einer Meute in den Midlands, Staatssekretär und ein durch große Tapferkeit verdienter Krieger. Millicents Eltern sahen mit Entzücken, dass die Nase ihre Wirkung auf ihn tat. Hector, der augenblicklich eine tiefe Abneigung gegen ihn fasste, wandte alle seine in zweieinhalbjähriger Praxis vervollkommneten Kniffe an und erreichte [168] nichts. Schliche, die einem Dutzend junger Männer schwersten Verdruss bereitet hatten, schienen Sir Alexanders zärtliche Fürsorge nur noch zu steigern. Wenn er Millicent abends abholen kam, hatte er die Taschen seines Abendanzugs immer voll Würfelzucker für Hector; wenn Hector sich erbrach, war Sir Alexander als Erster bei ihm auf den Knien und breitete eine Seite der Times unter ihm aus; Hector fiel in frühere Unarten zurück und biss ihn verschiedentlich – und kräftig –, doch Sir Alexander meinte nur: »Ich glaube, ich mache das kleine Kerlchen eifersüchtig. Wie rührend!«
Die Wahrheit war nämlich, dass Sir Alexander solche Behandlung von frühester Jugend an gewöhnt war – seine Eltern, Schwestern, Schulkameraden, sein Kompaniefeldwebel und sein Oberst, seine Kollegen in der Politik, seine Frau, sein Jagdmeister und seine Jagdgefährten sowie der Vorsitzende des Jagdclubs, sein Wahlagent, seine Wähler und sogar sein Privatsekretär im Parlament, sie alle waren zu allen Zeiten über Sir Alexander hergefallen, und er akzeptierte solche Behandlung als etwas Selbstverständliches. Für ihn war es das Natürlichste auf der Welt, dass ohrenbetäubendes Bellen ihn begrüßte, wenn er die Liebste seines
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