Waugh, Evelyn
Ausland und hält ein Kästchen voll niederschmetternder landwirtschaftlicher Meldungen sorgsam unter Verschluss; und wie alle alten Jungfern sieht man sie immer und überall in Begleitung eines alternden Schoßhunds.
[173] Mr. Lovedays kleiner Ausflug
I
»Du wirst sehen, dass er sich nicht sehr verändert hat«, bemerkte Lady Moping, als der Wagen durch das Tor der Bezirksheil- und -pflegeanstalt bog.
»Trägt er eine Uniform?«, fragte Angela.
»Aber nein, Kind, natürlich nicht! Er ist aufs Beste untergebracht!«
Es war Angelas erster Besuch bei ihrem Vater und fand auf ihr Betreiben statt.
Zehn Jahre waren seit dem verregneten Tag im Spätsommer vergangen, an dem Lord Moping abgeholt worden war, ein Tag voll verworrener, aber unangenehmer Erinnerungen für Angela, der Tag des alljährlichen Gartenfestes ihrer Mutter, also ohnehin bitter, und an jenem Tag wegen des launischen Wetters besonders verworren: Es war strahlend schön gewesen und schien sich zu halten – bis zur Ankunft der ersten Gäste, als es plötzlich finster wurde und ein Unwetter losbrach. [174] Alles flüchtete, um sich unterzustellen, das große Zelt kippte um, Kissen und Stühle wurden in verrückter Hast in Sicherheit gebracht, ein Tischtuch flog in die Luft, verfing sich in den Zweigen der hohen Araukarie und flatterte dort im Regen. Dann eine vorübergehende Aufhellung – Gäste betraten vorsichtig den durchweichten Rasen –, ein neuer Guss – und wiederum zwanzig Minuten Sonnenschein. Es war ein verheerender Nachmittag gewesen, der gegen sechs Uhr mit dem Selbstmordversuch ihres Vaters seinen Höhepunkt erreicht hatte.
Lord Moping drohte gewohnheitsmäßig mit Selbstmord, sobald das Gartenfest heranrückte; an jenem Sommertag hatte man ihn in der Orangerie gefunden, wo er, schon blau im Gesicht, an den Hosenträgern baumelte; ein paar Nachbarn, die vor dem Regen dort Schutz gesucht hatten, stellten ihn wieder auf die Füße, und noch vor dem Essen war er von einem Wagen abgeholt worden. Seit jenem Tag hatte Lady Moping von Zeit zu Zeit Besuche in der Nervenheilanstalt gemacht und war rechtzeitig zum Tee wieder zurückgekehrt; über ihre Erlebnisse dort schwieg sie sich gründlich aus.
Viele Nachbarn neigten dazu, Lord Mopings Unterbringung zu missbilligen. Natürlich wurde [175] er nicht wie die gewöhnlichen Insassen behandelt. Er wohnte in einem separaten Flügel der Anstalt, der vor allem der Absonderung der reicheren Geisteskranken diente. Dort wurde ihnen jede Rücksichtnahme zuteil. Sie durften ihre Kleidung selbst auswählen (viele ergingen sich im tollsten Aufputz), die teuersten Zigarren rauchen und wenn der Tag ihrer Einlieferung wiederkehrte, andere Insassen zu privaten Dinnerpartys einladen.
Doch es ließ sich nicht daran rütteln, dass es bei weitem nicht die kostspieligste Anstalt war; die vieldeutige Bezeichnung »Bezirksheil- und pflegeanstalt für Geistesgestörte«, die als Briefkopf auf dem Schreibpapier stand, den Uniformen der Wärter aufgenäht war und sogar auf einem deutlich sichtbaren Schild über dem Haupteingang prangte, ließ auf niedrigsten Standard schließen. Lady Mopings Freunde versuchten von Zeit zu Zeit und mit mehr oder weniger Takt, sie auf Erholungsheime am Meer aufmerksam zu machen, »mit qualifizierten Ärzten und ausgedehnten Parkanlagen, geeignet zur Pflege aller Nervenleiden und komplizierterer Fälle.« Aber sie zeigte kein sonderliches Interesse: Wenn ihr Sohn mündig wurde, mochte er an Veränderungen vornehmen, was er für notwendig [176] erachtete; bis es so weit war, fühlte sie sich nicht veranlasst, ihr sparsames Regiment aufzugeben; ihr Gatte hatte sie schändlicherweise an dem einzigen Tag des Jahres im Stich gelassen, an dem sie auf getreuen Beistand zählte, und jetzt war er viel besser dran, als er es verdiente.
Ein paar einsame Gestalten in Mänteln schlurften und stelzten im Park umher.
»Das da sind die weniger gutgestellten Irren«, bemerkte Lady Moping. »Für Leute wie deinen Vater gibt es einen sehr hübschen kleinen Blumengarten. Ich habe ihnen im vorigen Jahr Ableger geschickt.«
Sie fuhren an der kahlen gelben Backsteinfront entlang und zum Privateingang des Arztes; er empfing sie in einem Besuchszimmer, das für Gäste dieser Art gedacht war. Das Fenster war auf der Innenseite durch Eisenstangen und Drahtnetz geschützt; ein Kamin fehlte, und als Angela ihren Stuhl nervös vom Heizkörper abrücken wollte, entdeckte sie, dass er an den Fußboden geschraubt
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