Waugh, Evelyn
Mike und eilte dann zum Medizinschränkchen ihrer Mutter, um das Jodfläschchen zu holen.
Nun kann sich kein Engländer, selbst der phlegmatischste nicht, die Hand mit Jod betupfen lassen, ohne sich wenigstens vorübergehend zu verlieben.
Mike hatte die Nase schon unzählige Male gesehen, doch als sie sich an diesem Nachmittag über seinen lädierten Daumen beugte und Millicent fragte: »Tu ich dir sehr weh?«… und als sie sich ihm entgegenhob und Millicent sagte: »So, jetzt ist es wieder gut«, da sah Mike sie mit einem Mal so verklärt, wie ihre Anbeter sie sahen, und von Stund an und weit über die ihm zugestandenen drei Monate hinaus war er Millicents bedingungsloser Verehrer.
[162] Hündchen Hector sah das alles und begriff seinen Fehler. Und er beschloss, er wolle Millicent nie wieder Anlass geben, nach der Jodflasche zu eilen.
V
Im Großen und Ganzen hatte er eine leichte Aufgabe, denn in aller Regel konnte man es getrost Millicents kapriziöser Natur überlassen, ihre jeweiligen Verehrer ohne jede Nachhilfe auf kurz oder lang bis aufs Blut zu reizen. Überdies hatte sie das Hündchen liebgewonnen. Sie bekam sehr regelmäßig Post von Hector, wöchentlich geschrieben und, je nach Postverbindung, in Vierer- oder Fünferpacken zugestellt. Sie öffnete sie immer und las sie manchmal auch von Anfang bis Ende, aber selten machte ihr der Inhalt Eindruck, und nach und nach geriet ihr Verfasser derart in Vergessenheit, dass sie, wenn Leute sie nach dem Befinden »des lieben Hector« fragten, gedankenlos antwortete: »Ich glaube, das heiße Wetter bekommt ihm nicht, sein Fell ist auch gar nicht mehr schön. Ich sollte ihn mal trimmen lassen«, anstatt: »Er hatte einen Malaria-Anfall, Schädlinge haben seine Tabakernte vernichtet.«
[163] Hündchen Hector nutzte die ihm erwachsene Zuneigung aus und entwickelte eine Technik für den Umgang mit Millicents Verehrern. Nicht länger knurrte er sie an oder beschmutzte ihre Hosen, denn solches führte nur dazu, dass er des Zimmers verwiesen wurde; dafür fiel es ihm jedoch zunehmend leichter, die Unterhaltung an sich zu reißen.
Der Fünfuhrtee war die gefährlichste Tageszeit, denn da durfte Millicent in ihrem Wohnzimmer Freunde empfangen; heldenhaft simulierte Hector darum, obschon von Natur aus mehr für Pikant-Fleischiges zu haben, eine Vorliebe für Würfelzucker. Nachdem er dies ohne Rücksicht auf seine Verdauung etabliert hatte, war es ihm ein Leichtes, Millicent für Kunststückchen zu gewinnen; er machte Männchen und Bittebitte, lag wie tot da oder stellte sich in die Ecke und legte eine Pfote ans Ohr.
»Was bedeutet Zucker?«, pflegte Millicent zu fragen, worauf Hector ums Teetischchen herum zur Zuckerschale ging, mit ernstem Blick die Nase daran legte und das glänzende Silber mit seinem feuchten Atem trübte.
»Er versteht alles«, erklärte Millicent dann triumphierend.
Wenn Kunststücke nichts fruchteten, begehrte [164] Hector, hinausgelassen zu werden, und der jeweilige junge Mann sah sich genötigt, sich zu unterbrechen und ihm die Tür zu öffnen. Kaum draußen, kratzte Hector an der Tür und winselte um Wiedereinlass.
In Augenblicken höchster Not täuschte er Übelkeit vor – was ihm nach der ungeliebten Würfelzuckerdiät nicht sonderlich schwerfiel; er reckte den Hals nach vorn, würgte geräuschvoll, bis Millicent ihn sich schnappte und in die Diele trug, deren Marmorboden weniger empfindlich war – doch währenddessen war die zärtliche Atmosphäre gründlich zerstört, und die an ihre Stelle getretene Stimmung war jeglicher Romantik unzuträglich.
Dieses über einen ganzen Nachmittag verteilte und bei jedem erkennbar werdenden Versuch des Gastes, das Gespräch auf intimere Bahnen zu lenken, liebenswürdig aufgedrängte Repertoire ging einem jungen Mann nach dem anderen auf die Nerven, bis er ratlos und verzweifelt seiner Wege ging.
Jeden Morgen lag Hector auf Millicents Bett, während sie ihr Frühstück einnahm und die Tageszeitung las. Diese Stunde von zehn bis elf war dem Telefon gewidmet, und zu dieser Zeit suchten die jungen Männer, mit denen sie abends zuvor [165] getanzt hatte, die Freundschaft zu erneuern und Pläne für den kommenden Tag zu machen. Zuerst war Hector, nicht ohne Erfolg, bestrebt, diese Verabredungen zu verhindern, indem er sich in der Telefonschnur verhedderte, doch bald bot sich eine gewitztere und beleidigendere Methode an. Er telefonierte einfach mit. Sowie es läutete, wedelte er mit dem Schwanz und
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