Waugh, Evelyn
ich mir dieses kleine Vergnügen versprochen. Es war kurz, aber höchst erfreulich! Nun will ich wieder meinen Pflichten nachgehen.«
Später entdeckte man eine halbe Meile außerhalb der Anstaltstore auf der Landstraße ein einsames Fahrrad. Es war ein Damenfahrrad von nicht allzu moderner Machart. Ganz in der Nähe fand man im Straßengraben die Leiche einer jungen Frau, die erwürgt worden war. Auf dem Heimweg zur Abendmahlzeit hatte sie zufällig Mr. Loveday überholt, der die Landstraße entlangwanderte und über seine Möglichkeiten nachgesonnen hatte.
[189] Wer zuerst kommt, mahlt zuerst
I
Als Mrs. Kent-Cumberlands ältester Sohn (in einer teuren Londoner Entbindungsklinik) zur Welt kam, wurde auf Tomb Beacon ein Freudenfeuer angezündet; es verzehrte drei Fässchen Teer, einen gewaltigen Holzstoß und – wie es so ging, weil die Flammen sich im trockenen Ginster rasch ausbreiteten und die getreuen Pächter zum Löschen zu beschwipst waren – die gesamte Vegetation des Tomb Hill.
Sowie Mutter und Sohn reisefähig waren, fuhren sie standesgemäß aufs Land, wo die Dorfstraße beflaggt war und Spaliere von Immergrünzweigen die hübschen palladianischen Eingangstore zum Herrenhaus zudeckten. Es gab Festessen für die Bauern, sowohl auf Tomb als auch auf dem Kent-Cumberland-Gut in Norfolk, und es wurde widerspruchslos für ein versilbertes Tablett gespendet.
Die Taufe beging man mit einem Gartenfest. [190] Eine Prinzessin übernahm in Vertretung die Patenschaft, und der Junge sollte auf den Namen Gervase Peregrine Mountjoy St. Eustace hören – lauter glanzvolle Namen aus der Familiengeschichte.
Während der Zeremonie mit anschließender Gratulationscour bewahrte Gervase eine Haltung, die durch ihre phlegmatische Würde alle Anwesenden in der hohen Meinung bestärkte, die man sich über seine Fähigkeiten bereits gebildet hatte.
Nach dem Gartenfest wurden Feuerwerke abgebrannt, und nach den Feuerwerken hatten die Gärtner eine harte Woche lang mit Aufräumen zu tun. Danach lief das Leben der Kent-Cumberlands weiter in seinen beschaulichen Bahnen, bis Mrs. Kent-Cumberland knapp zwei Jahre später – sehr zu ihrem Verdruss – feststellte, dass sie erneut ein Kind bekommen werde.
Das zweite Kind kam im August in einem protzigen modernen Haus an der Ostküste zur Welt, das man für den Sommer genommen hatte, um Gervase die Vorzüge der Seeluft zukommen zu lassen. Geburtshelfer war der Dorfarzt, der Mrs. Kent-Cumberland mit seinem Mittelschichtakzent abstieß und im entscheidenden Moment sehr viel mehr Geschick an den Tag legte als der Londoner Spezialist.
[191] In den tristen Wartemonaten hatte Mrs. Kent-Cumberland sich an der Hoffnung aufgerichtet, sie werde vielleicht eine Tochter bekommen. Auf Gervase, der sich ein wenig unzugänglich entwickelte, konnte ein hübsches, zwei Jahre jüngeres Schwesterchen mit freundlichem Wesen nur einen günstigen Einfluss haben. Sie würde debütieren, wenn er nach Oxford ging, und ihn so vor den beiden Extremen schlechter Gesellschaft bewahren, die diesen Lebensabschnitt bedrohten – dem Bücherwurm und dem Taugenichts. Zu Ferien und Feiertagen würde sie die allerliebsten Freundinnen mit nach Hause bringen. Mrs. Kent-Cumberland hatte sich alles genau überlegt. Als sie dann einen zweiten Sohn bekam, nannte sie ihn Thomas und war während der Genesung unleidlich und mit den Gedanken bei der kommenden Jagdsaison.
II
Die Brüder wuchsen zu zwei robusten, nicht weiter bemerkenswerten kleinen Jungen heran; abgesehen von den zwei Jahren Altersunterschied standen sie einander in nichts nach. Beide waren rötlich blond, beherzt und, wenn es sein musste, [192] wohlerzogen. Beide waren weder besonders sensibel, talentiert, empfindlich oder fühlten sich leicht missverstanden. Beide akzeptierten die bedeutendere Stellung des älteren Gervase, wie sie seine Überlegenheit an Kraft und Wissen akzeptierten. Aber Mrs. Kent-Cumberland war eine gerechte Frau, und wenn beide in irgendeine Schelmerei verwickelt waren, erhielt Gervase als der Ältere die schwerere Strafe. Tom fand seine Bedeutungslosigkeit im Ganzen vorteilhaft, denn sie stellte ihn von den zahllosen kleinen Gesellschaftspflichten frei, die Gervase oblagen.
III
Im Alter von sieben Jahren wünschte Tom sich sehnlichst ein Tretauto, ein teures Spielzeug, in das man sich hineinsetzen und in dem man im Garten umherkutschieren konnte. Wochenlang betete er jeden Abend und fast jeden Morgen ausdauernd darum.
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