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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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Weihnachten nahte.
    Gervase besaß ein schmuckes Pony und durfte oft mit zur Jagd. Tom war die meiste Zeit des Tages allein, und seine Gedanken kreisten sehr viel um das Auto. Schließlich vertraute er seinen Wunsch einem Onkel an. Der Onkel hielt nicht [193] übermäßig viel von teuren Geschenken, schon gar nicht für Kinder (denn er war ein Mann von bescheidenen Mitteln und kostspieligen Lebensgewohnheiten), aber der so inständige Wunsch des Neffen beeindruckte ihn.
    »Das arme Kerlchen«, dachte er bei sich, »anscheinend ist immer nur alles für seinen Bruder da«, und als er nach London zurückkam, bestellte er für Tom ein Tretauto. Es kam ein paar Tage vor Weihnachten an und wurde zusammen mit den anderen Geschenken auf dem Speicher deponiert. Am Heiligabend kam Mrs. Kent-Cumberland sie inspizieren. »Wie nett«, sagte sie jedes Mal, wenn sie eine Widmung las, »wie nett.«
    Das Tretauto war mit Abstand das größte Stück. Es war knallrot und hatte elektrisches Licht, Hupe und Ersatzrad.
    »Nein wirklich«, sagte sie, »wie ausgesprochen lieb von Ted.« Dann sah sie sich die Zueignung etwas näher an. »Aber wie dumm von ihm! Er hat ja Toms Namen daraufgeschrieben.«
    »Für Master Gervase ist dieses Buch gekommen«, sagte das Kindermädchen und zeigte ein Buch mit dem Kärtchen: »Für Gervase, mit den besten Wünschen von Onkel Ted.«
    »Natürlich haben die im Laden die Pakete verwechselt«, sagte Mrs. Kent-Cumberland. »Das [194] kann nicht für Tom bestimmt sein. Stellen Sie sich mal vor, es muss seine sechs bis sieben Pfund gekostet haben.«
    Sie vertauschte die Kärtchen und ging, zufrieden damit, einen offensichtlichen Justizirrtum korrigiert zu haben, nach unten, um das Schmücken des Christbaums zu beaufsichtigen.
    Am nächsten Morgen wurden die Geschenke ausgepackt. »Menschenskind, Ger, hast du ein Glück«, rief Tom beim Anblick des Autos. »Darf ich mal darin fahren?«
    »Ja, aber sei vorsichtig. Die Nanny sagt, es ist furchtbar teuer.«
    Tom drehte zwei Runden im Zimmer. »Darf ich ab und zu damit in den Garten?«
    »Du kannst es immer haben, wenn ich zur Jagd bin.«
    Im Lauf der Woche schrieben sie ihre Dankesbriefe an den Onkel.
    Gervase schrieb:
    Lieber Onkel Ted,
    vielen Dank für das schöne Geschenk. Es ist wunderbar. Dem Pony geht es sehr gut. Ich werde wieder zur Jagd reiten, bevor ich in die Schule zurückmuss. Viele Grüße von
    Gervase
    [195] Lieber Onkel Ted (schrieb Tom),
    vielen Dank für das schöne Geschenk. Genau das habe ich mir immer gewünscht. Noch mal vielen Dank und viele Grüße von
    Tom
    »So, und das ist alles! So ein undankbarer Lümmel«, dachte Onkel Ted und nahm sich vor, künftig sparsamer zu schenken.
    Doch als Gervase wieder zur Schule ging, sagte er zu Tom: »Du kannst das Auto haben und behalten.«
    »Was, für immer ?«
    »Ja. Ist doch sowieso ein Kinderspielzeug.«
    Und mit diesem Akt der Großherzigkeit steigerte er Toms Achtung und Liebe zu ihm vielhundertfach.
    IV
    Der Krieg kam und veränderte das Leben der beiden Jungen von Grund auf. Sie trugen keine der Neurosen davon, mit denen die Pazifisten drohten. Die Luftangriffe zählten zu Toms schönsten Erinnerungen, denn da wurde die ganze Schule mitten in der Nacht geweckt und musste rasch in [196] den Keller hinunter, und dort lagen sie alle in Daunendecken gehüllt und wurden von der Hausmutter, die in ihrem Flanellnachthemd überaus lächerlich aussah, mit Kakao und Kuchen verwöhnt. Einmal wurde in Sichtweite der Schule ein Zeppelin abgeschossen. Sie drängten sich alle an die Schlafsaalfenster, um ihn in einem rosa Feuerball langsam zur Erde sinken zu sehen. Ein sehr junger Lehrer, der aus gesundheitlichen Gründen für den Kriegsdienst untauglich war, tanzte auf dem Tennisplatz des Direktors und schrie: »Da brennen sie, die Kindermörder!« Tom legte sich eine Sammlung von »Kriegsandenken« an, worunter sich ein erbeuteter deutscher Stahlhelm, Granatsplitter, die Times vom 4. August 1914, Uniformknöpfe, Patronenhülsen und Mützenabzeichen befanden. Sie galt als die beste in der ganzen Schule.
    Das Ereignis, das die Beziehung der beiden Brüder radikal veränderte, war der Tod ihres Vaters Anfang 1915. Sie hatten ihn beide nicht besonders gut gekannt oder besonders geliebt. Als Abgeordneter seines Wahlkreises im Unterhaus war er sehr viel in London gewesen, während die Kinder auf Tomb blieben. Seit er auch noch eingerückt war, hatten sie ihn überhaupt nur noch dreimal gesehen. Gervase und Tom

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