Waugh, Evelyn
Unbegreiflich, warum Old Mack sich nie spezialisiert und sich einen Namen gemacht hatte.
»Vielleicht rede ich tatsächlich mal mit Old Mack darüber«, sagte John.
»Tun Sie das. Einen Besseren können Sie gar nicht finden.«
Elizabeth hatte zwei Wochen Urlaub. Es [350] blieben noch drei Tage, als John ins Dorf ging, um Dr. Mackenzie zu konsultieren. Er traf einen freundlichen grauhaarigen Junggesellen in einem Sprechzimmer an, das eher einer Anwaltskanzlei als einer Arztpraxis glich, voller Bücher, dunkel, von Tabakrauch gesättigt.
Er nahm in dem abgewetzten Ledersessel Platz und führte in präziseren Worten die Geschichte aus, die er im Golfclub erzählt hatte. Dr. Mackenzie lauschte kommentarlos.
»Es ist das erste Mal, dass ich mit so etwas konfrontiert bin«, schloss er.
Schließlich sagte Dr. Mackenzie: »Sie haben im Krieg ordentlich was abbekommen, nicht, Mr. Verney?«
»Mein Knie. Es macht mir immer noch Beschwerden.«
»Schlimme Zeit im Lazarett?«
»Drei Monate. Ein grauenhaftes Loch außerhalb von Rom.«
»Mit einer solchen Verletzung ist immer auch eine erhebliche nervliche Erschütterung verbunden. Die bleibt oft bestehen, wenn die Wunde längst verheilt ist.«
»Ja, aber ich verstehe nicht recht –«
»Mein lieber Mr. Verney, Ihre Frau hat mich gebeten, nichts zu sagen, aber ich glaube, ich muss [351] Ihnen mitteilen, dass sie bereits hier gewesen ist, um mich in dieser Angelegenheit zu konsultieren.«
»Wegen ihrer Schlafwandelei? Aber sie kann doch gar nicht –« John hielt inne.
»Guter Mann, ich verstehe durchaus. Sie dachte, Sie wüssten nichts davon. Sie sind in den letzten Tagen zweimal aus dem Bett aufgestanden, und sie musste Sie zurückbringen. Sie weiß Bescheid.«
John wusste nicht, was er sagen sollte.
»Es ist nicht das erste Mal«, fuhr Dr. Mackenzie fort, »dass ein Patient mich konsultiert, mir seine Symptome schildert und sagt, er wäre wegen eines Freundes oder Verwandten gekommen. Meistens sind es Mädchen, die befürchten, dass sie in anderen Umständen sind. Es ist interessant, wahrscheinlich entscheidend, dass auch Sie die Beschwerden jemand anderem zuschreiben. Ich habe Ihrer Frau den Namen eines Mannes in London gegeben, der Ihnen meines Erachtens helfen kann. Einstweilen kann ich Ihnen nur zu viel Bewegung raten, leichten Mahlzeiten am Abend…«
John Verney humpelte völlig konsterniert nach Good Hope Fort zurück. Die Sicherheit war gefährdet; die Operation musste abgeblasen werden; die Initiative war verloren… Alle Phrasen des Taktikunterrichts fielen ihm wieder ein, doch er [352] war nach diesem unerwarteten Rückschlag immer noch wie vor den Kopf geschlagen. Ein riesengroßes nacktes Grauen beäugte ihn verstohlen und wurde beiseitegeschoben.
Als er zurückkam, deckte Elizabeth gerade den Abendtisch. Er trat auf den Balkon und starrte die klaffende Lücke im Geländer mit Augen an, die vor Enttäuschung schmerzten. Es war totenstill an diesem Abend. Zwischen den Felsen stieg und sank und hob sich erneut die Flut, ohne jedes Geräusch. Er blickte nach unten, dann kehrte er ins Zimmer zurück.
In der Whiskyflasche war noch ein großer Drink übrig. Er schenkte sich den Rest ein und kippte ihn.
Elizabeth brachte das Abendessen herein, und sie setzten sich. Nach und nach wurde er innerlich ein bisschen ruhiger. Sie speisten gewöhnlich schweigend. Schließlich sagte er: »Elizabeth, warum hast du dem Arzt erzählt, ich würde schlafwandeln?«
Sie stellte sachte den Teller ab, den sie in der Hand hielt, und musterte ihn mit einem prüfenden Blick. »Warum?«, sagte sie sanft. »Weil ich mir Sorgen gemacht habe natürlich. Ich dachte nicht, dass es dir bewusst ist.«
»Aber bin ich denn wirklich schlafgewandelt?«
[353] »O ja, mehrmals – in London und hier auch. Ich hielt es zunächst für nicht so schlimm, aber vorgestern Nacht habe ich dich auf dem Balkon gefunden, ganz nahe an diesem schrecklichen Loch im Geländer. Da habe ich es wirklich mit der Angst zu tun bekommen. Aber jetzt wird alles gut. Dr. Mackenzie hat mir den Namen eines Arztes gegeben, der…«
Es konnte ja sein, dachte John Verney; die Wahrscheinlichkeit war hoch. Zehn Tage lang hatte er Tag und Nacht an diese Lücke gedacht, an das Meer und die Felsen darunter, das kaputte Eisengitter und die scharfe Steinkante. Mit einem Mal fühlte er sich geschlagen, elend und dumm, genau wie damals, als er mit seinem zertrümmerten Knie an dem italienischen Hang gelegen hatte. Damals
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