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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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stattliche Erscheinung, denn er stammte von gutaussehenden Eltern und war sein Leben lang fürsorglich ernährt, verarztet und trainiert worden; auch gut eingekleidet. Er trug die graubraune Sergetracht, die zu der Zeit allgemein üblich war – nur amtlich bescheinigte Homosexuelle trugen Farben –, doch es gab durchaus Unterschiede in Schnitt und Qualität dieser Uniformen. Bei Miles hatten sichtlich Schneider und Diener Hand angelegt. Er gehörte einer privilegierten Klasse an.
    Er war ein Produkt des Staates.
    Er war kein tugendsamer, gottesfürchtiger viktorianischer Gentleman; kein allseitig gebildeter Renaissancemensch; kein tapferer Ritter und kein pflichtbewusster Heide, nicht einmal ein edler Wilder. Alle diese untergegangenen [362] Erscheinungsformen menschlicher Größe waren nur ein bescheidenes Vorspiel zu Miles gewesen. Er war der Moderne Mensch.
    Seine Geschichte, wie sie sich in mehrfachen Durchschlägen in den Aktenschränken zahlloser staatlicher Stellen fand, war typisch für tausend andere. Vor seiner Geburt war es den Politikern gelungen, seinen Vater und seine Mutter in Armut zu stürzen; mittellos hatten sie sich dem simplen Zeitvertreib der Allerärmsten hingegeben und damit, zwischen einem Krieg und dem nächsten, eine Kettenreaktion von Scheidungen in Gang gesetzt, die sie und ihre diversen Gesponse in unglücklichen Paaren über die ganze Freie Welt zerstreuten. Die Tante, bei der man den neugeborenen Miles unterbrachte, wurde zur Arbeit in einer Fabrik eingezogen und starb bald darauf vor Langeweile am Fließband. Das Kind kam in die Obhut eines Waisenhauses.
    Riesige Summen wurden von da an auf ihn verwandt; Summen, die fünfzig Jahre zuvor ganzen Horden von Jungen erlaubt hätten, aufs Winchester und New College zu gehen und eine akademische Karriere zu machen. In Sälen mit Picassos und Légers an den Wänden gähnte er sich durch stundenlange Konstruktionsspiele. Es fehlte ihm nie an den vorgeschriebenen [363] Kubikmetern Luft. Seine Ernährung war ausgewogen, und jeden ersten Freitag im Monat wurde er psychoanalysiert. Jedes Detail seiner Kinder- und Jugendjahre wurde aufgezeichnet und mikrogefilmt und archiviert, bis man ihn im geeigneten Alter an die Luftwaffe überwies.
    Es gab keine Flugzeuge auf dem Stützpunkt, wo er stationiert wurde. Es war eine Einrichtung, die Ausbilder von Ausbildern von Ausbildern in Persönlicher Freizeitgestaltung ausbildete.
    Einige Wochen lang bediente er dort eine Geschirrspülmaschine, und er bediente sie, wie sein Adjutant im Prozess aussagte, aufs vorbildlichste. Die Arbeit an sich machte wenig her, aber sie war das normale Noviziat. Männer aus den Waisenhäusern stellten den harten Kern der Streitkräfte, eine eigene Kaste, die die glänzenden Qualitäten von Janitscharen und Junkern in sich vereinigte. Miles war frühzeitig zum Oberbefehl ausersehen worden. Geschirrspülen war nur der Anfang. Der Adjutant, ebenfalls Waise, hatte selbst, wie er aussagte, sowohl Geschirr gespült als auch Offiziersunterwäsche gewaschen, bevor er zu seinem gegenwärtigen Rang aufstieg.
    Militärgerichte waren einige Jahre zuvor abgeschafft worden. Die Streitkräfte übergaben ihre Delinquenten der Zivilgerichtsbarkeit zur [364] Aburteilung. Miles’ Fall wurde in der nächsten Quartalssitzung verhandelt. Gleich zu Anfang, als Brandstiftung, mutwillige Zerstörung, Totschlag, Wehrkraftschädigung und Landesverrat aus der Anklage gestrichen und das Ganze auf den schlichten Vorwurf der asozialen Betätigung reduziert wurde, erwies sich, dass die Sympathien des Gerichts auf Seiten des Gefangenen lagen.
    Der Militärpsychologe äußerte die Auffassung, dass eine gewisse Pyromanie von Natur aus zur Jugend gehöre. Werde der Trieb unterdrückt, könne er krankhafte Neurosen verursachen. Er für seinen Teil sei der Meinung, der Gefangene habe eine völlig normale Tat begangen und überdies bei ihrer Ausführung überdurchschnittliche Intelligenz bewiesen.
    An diesem Punkt ließen einige der Witwen, Mütter und Waisen der verbrannten Luftwaffensoldaten auf der Zuschauertribüne einen Aufschrei der Entrüstung hören und wurden vom Richter scharf darauf hingewiesen, dass dies ein Sozialgericht war und keine Versammlung des Hausfrauenverbandes.
    Der Prozess artete in eine vielstimmige Lobeshymne auf den Angeklagten aus. Der Versuch der Anklage, das Ausmaß des Schadens geltend zu machen, wurde vom Richter abgeschmettert.
    [365] »Die Geschworenen«, sagte er, »mögen

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