Waugh, Evelyn
in seinen ganzen zwanzig Jahren des Großen Fortschritts je sein Eigen genannt hatte.
Sein Türnachbar, ein gewisser Mr. Sweat, blieb an seiner Tür stehen, um gute Nacht zu sagen. Erst jetzt, wo Miles’ Zeit um war, nach zwanzigmonatiger Zimmernachbarschaft, begann dieser Veteran aufzutauen. Er und ein Mann namens [358] Soapy, Relikte einer früheren Zeit, waren unter sich geblieben und hatten wehmütig von Dingern geredet, die sie gedreht hatten, von Klunkern, von gemütlichen Hinterzimmern, wo sie sich mit ihren Hehlern getroffen hatten, von den harten Haftbedingungen in The Scrubs und The Moor. Mit der jüngeren Generation konnten sie wenig anfangen; Kriminalität, Kalvinismus und klassische Musik waren ihre Interessen. Irgendwann jedoch hatte Mr. Sweat angefangen, Miles zuzunicken, zuzuknurren und schließlich, als es zur Freundschaft zu spät war, mit ihm zu sprechen.
»Na, mein Freund, wie hat Ihnen das Gefiedel heute Abend gefallen?«, fragte er.
»Ich war nicht da, Mr. Sweat.«
»Da haben Sie was verpasst. Klar, unser Soapy ist nie zufrieden. Ist mir ziemlich auf den Geist gegangen, wie Soapy die ganze Zeit gestänkert hat. Die Bratsche hätte gekratzt, meint Soapy. Sie hätten den Mozart gespielt, als ob es Haydn wäre. Kein Gefühl im Debussy-Pizzicato, meint Soapy.«
»Soapy weiß zu viel.«
»Soapy weiß viel mehr als gewisse andere Leute, Schulbildung hin oder her. Das nächste Mal wollen sie die Große Fuge als Finalsatz des B-Dur spielen. Darauf darf man wirklich gespannt sein, nicht wahr, auch wenn Soapy meint, den [359] späten Beethoven haben die nicht drauf. Wir werden sehen. Wenigstens ich und Soapy werden sehen; Sie nicht. Sie kommen morgen raus. Freuen Sie sich?«
»Nicht besonders.«
»Nein, würde ich auch nicht. Komisch, aber ich habe mich hier bestens eingelebt. Hätte ich nie für möglich gehalten. Kam mir am Anfang alles zu schnieke vor. Ganz was anderes als The Scrubs. Aber wenn man sich mal dran gewöhnt hat, ist es richtig nett hier. Hätte nichts gegen lebenslänglich hier, wenn ich dürfte. Das Dumme ist, dass man als Krimineller heute keine Sicherheit mehr hat. Früher wusste man genau, was einem ein Ding einbrachte, sechs Monate, drei Jahre; egal, was, man wusste, woran man war. Bei dem ganzen Zeug heutzutage, Anstaltsverwaltung, Sicherungsverwahrung, Therapiemaßnahmen und so weiter, da können sie einen drinbehalten oder auf die Straße setzen, wie sie gerade lustig sind. Das ist doch nicht richtig.
Ich will Ihnen mal sagen, woran das liegt, mein Freund«, fuhr Mr. Sweat fort. »Die ganze Einstellung zur Kriminalität ist nicht mehr das, was sie mal war. Ich weiß noch, als ich ein Stift war und zum ersten Mal vor dem Kadi stand, da hat der kein Blatt vor den Mund genommen. ›Junger [360] Mann‹, sagt er, ›Sie sind dabei, eine Laufbahn einzuschlagen, die nur zu Unglück und Schande in dieser Welt und ewiger Verdammnis in der nächsten führen kann.‹ Das nenne ich Tacheles reden. Das hat Hand und Fuß, und es zeigt ein persönliches Interesse. Aber beim letzten Mal, als ich dann hier eingebuchtet wurde, war ich für die eine ›asoziale Erscheinung‹; ich wäre ›sozial fehlangepasst‹, hieß es. So redet man doch nicht mit einem Mann, der schon gesessen hat, als die noch in kurzen Hosen rumgelaufen sind, oder?«
»So was Ähnliches haben sie zu mir auch gesagt.«
»Ja, und jetzt schieben die Sie ab, als ob Sie gar keine Rechte hätten. Ich kann Ihnen sagen, da ist so einigen von den Jungs mulmig geworden, wie man Sie so Knall auf Fall vor die Tür gesetzt hat. Wen trifft es das nächste Mal, fragen wir uns?
Ich will Ihnen mal sagen, was Sie falsch gemacht haben, mein Freund. Sie haben nicht genug Scherereien gemacht. Sie haben es denen zu leicht gemacht zu behaupten, Sie wären kuriert. Da sind Soapy und ich schnell hintergekommen. Wissen Sie, wer die Vögel neulich abgemurkst hat? Soapy und ich. War ’n Haufen Arbeit; mordszähe Viecher. Aber wir haben die Beweise alle sorgfältig versteckt, und falls je die Rede davon [361] sein sollte, dass sie mich und Soapy ›resozialisieren‹ wollen, dann packen wir sie auf den Tisch.
Na, machen Sie’s gut, mein Freund. Morgen früh habe ich Heilentspannung, deshalb werden Sie wohl schon weg sein, wenn ich runterkomme. Kommen Sie bald wieder.«
»Ich hoffe es«, sagte Miles und ging allein in sein Zimmer.
Er trat kurz ans Fenster und schaute zum letzten Mal auf das Kopfsteinpflaster des Hofs hinab. Er war eine
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