Waugh, Evelyn
wie heute hatte er die Mattigkeit noch stärker empfunden als den Schmerz.
»Kaffee, Liebling.«
Plötzlich war er hellwach. »Nein«, schrie er beinahe. »Nein, nein, nein.«
»Liebling, was ist los? Reg dich doch nicht auf. Geht es dir nicht gut? Leg dich auf das Sofa an der Balkontür.«
Er tat wie geheißen. Er war so müde, dass er kaum von seinem Stuhl hochkam.
»Meinst du, Kaffee würde dich wach halten, [354] Schatz? Du siehst zum Umfallen müde aus. Komm, leg dich hin.«
Er legte sich hin, und wie die unten zwischen den Felsen langsam steigende Flut wuchs die Müdigkeit an und breitete sich in ihm aus. Er nickte ein und schreckte jäh auf.
»Soll ich die Tür aufmachen, Liebling, damit du ein bisschen Luft bekommst?«
»Elizabeth«, sagte er, »mir ist, als wäre was im Kaffee gewesen.« Wie die Felsen draußen vor der Tür – mal von den Wellen überspült, mal daraus auftauchend; jetzt wieder unter Wasser, tiefer nun; jetzt kaum mehr zu sehen, nur noch Tupfer an der Oberfläche des träge strudelnden Schaums – ging sein Gehirn ganz allmählich unter. Er stemmte sich hoch wie ein kleiner Junge, der aus einem Alptraum erwacht, immer noch verängstigt, immer noch halb im Schlaf. »Es kann nicht sein«, sagte er laut, »ich habe den Kaffee doch gar nicht angerührt.«
»Etwas im Kaffee?«, sagte Elizabeth sanft wie eine Krankenschwester, die einen störrischen Jungen beruhigt. »Etwas im Kaffee ? Was für ein absurder Gedanke. So was gibt es nur im Film, Liebling.«
Er hörte sie nicht mehr. Er schlief tief und fest und schnarchte rasselnd neben der offenen Tür.
[355] Liebe in Schutt und Asche
Ein Sittengemälde aus der nahen Zukunft
JOHANNI M C dougall
Amico
Qui Nostri Sedet in Loco Parentis
I
Trotz ihrer Versprechungen vor den letzten Wahlen hatten die Politiker das Klima noch immer nicht geändert. Das Staatliche Meteorologische Institut hatte bislang nur einen vorzeitigen Schneefall und zwei kleine, höchstens aprikosengroße Kugelblitze zustande gebracht. Das Wetter wechselte von Tag zu Tag und von Grafschaft zu Grafschaft, wie es das seit alters höchst vorschriftswidrig tat.
Die Nacht war von altmodischer Schönheit, wie aus einem Tennyson-Gedicht.
Die Klänge eines Streichquartetts schwebten aus den Salonfenstern und verloren sich im Plätschern und Murmeln des Parks. Die geschlossenen [356] Seerosen im Teich hatten eine brütende Süße über dem Wasser hinterlassen. Keine goldene Flosse blinkte im Porphyrbecken, und falls man meinte, einen Pfau mit milchweiß hängender Schleppe im Mondschatten zu sehen, so war es ein Gespenst, denn der ganze Pfauenschwarm war ein oder zwei Tage zuvor während der ersten verstörenden Hitzewelle dieses plötzlichen Sommers so mysteriös wie brutal niedergemetzelt worden.
Miles schlenderte unter den schlafenden Blumen einher, von Melancholie durchdrungen. Er machte sich nicht viel aus Musik, und dies war sein letzter Abend in Mountjoy. Vielleicht durfte er nie wieder auf diesen Spazierwegen wandeln.
Mountjoy war in einer Zeit entworfen und angelegt worden, von der er nichts wusste; Generationen von tüchtigen und geduldigen Gärtnern hatten gejätet und gedüngt und geschnitten; Generationen von Gartenfreunden hatten es mit Kaskaden und Fontänen bewässert; Generationen von Sammlern hatten Statuen aufgestellt; all dies, so schien es, eigens zu seinem Genuss in genau dieser Nacht unter diesem riesigen Mond. Miles wusste nichts von solchen Epochen und Vorgängen, doch er fühlte eine unerklärliche Gezeitenkraft, die ihn zu den Herrlichkeiten ringsum zog.
[357] Von den Stallungen schlug es elf. Die Musik verstummte. Miles kehrte um, und als er zur Terrasse gelangte, wurden schon die Läden geschlossen und die großen Lüster einer nach dem anderen gelöscht. Im Lichte der Wandleuchter, die vor ihren Tafeln aus verblichenem Atlas und trübem Gold noch brannten, verstreute sich die Gesellschaft gerade zwischen den Inseln alter Möbel bettwärts. Er schloss sich an.
Sein Zimmer gehörte nicht zu der prunkvollen Flucht, die zum Park hin lag. Die war Mördern vorbehalten. Es befand sich auch nicht im Stockwerk darüber, das hauptsächlich Sexualverbrecher beherbergte. Er wohnte in einem bescheideneren Flügel. Sein Blick ging auf den Gepäckunterstand und das Kohlendepot. Früher waren hier nur Leute, die beruflich in Mountjoy zu tun hatten, und sehr arme Verwandte untergebracht worden. Aber Miles hing an diesem Zimmer, denn es war das erste, das er
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