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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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hatte. Er schloss, wie er immer schloss: »In dem Neubritannien, das wir aufbauen, gibt es keine Kriminellen. Es gibt nur die Opfer einer mangelhaften Sozialfürsorge.«
    [369] Der Wohlfahrtsminister, der seine hohe Stellung nicht zuletzt einer gewissen Streitbarkeit verdankte, bemerkte: »Aber wenn ich es recht verstehe, stammt Plastic aus einem unserer eigenen Waisenhäuser…«
    »Plastic ist als Sonderfall anerkannt«, sagte der Betreuungsleiter.
    Der Minister für Erholung und Kultur, der seinerzeit selbst mehr als einmal gesessen hatte, sagte: »Na, mein lieber Plastic, nach allem, was man sich von Ihnen erzählt, sind Sie ein ganz Gewiefter.«
    »Genau«, sagte der Betreuungsleiter. »Miles ist unser erster Erfolg, der Beweis für die Richtigkeit der Methode.«
    »Von allen neuen Gefängnissen, die in der ersten glorreichen Welle der Reform gegründet wurden, hat allein Mountjoy einen Fall von vollständiger Resozialisierung hervorgebracht«, sagte der Wohlfahrtsminister. »Es ist Ihnen möglicherweise nicht bewusst, dass die Methode sowohl im Parlament als auch außerhalb schwer unter Beschuss geraten ist. Es gibt viele junge Heißsporne, die unter dem Einfluss unseres Großen Nachbarn im Osten stehen. Man kann ihnen die Sachverständigen zitieren, bis man schwarz wird, und trotzdem drängen sie immer weiter auf diese [370] ganzen neuen Techniken der Todesstrafe und der körperlichen Züchtigung, auf Ketten und Einzelhaft, Brot und Wasser, die neunschwänzige Katze, den Strang und den Block und allen möglichen neumodischen Unfug. Sie halten uns für verknöcherte Ewiggestrige. Gott sei Dank können wir immer noch auf den gesunden Wirklichkeitssinn der Bevölkerung bauen, aber wir sind jetzt in der Defensive. Wir müssen Ergebnisse vorlegen. Deshalb sind wir heute Morgen hier. Um ihnen Ergebnisse vorzulegen. Sie sind unser Ergebnis.«
    Das waren gewichtige Worte, und Miles zeigte sich dafür nicht völlig unempfänglich. Er stierte mit einem Ausdruck vor sich hin, den man für Ergriffenheit halten konnte.
    »Sie sollten jetzt genau aufpassen, was Sie tun, mein Lieber«, sagte der Minister für Erholung und Kultur.
    »Fotos«, sagte der Minister für Wohlfahrt. »Ja, geben Sie mir die Hand. Drehen Sie sich zu den Fotoapparaten. Lächeln Sie.«
    In dem tristen kleinen Raum brach ein Blitzlichtgewitter los.
    »Der Staat sei mit Ihnen«, sagte der Wohlfahrtsminister.
    »Schön Pfötchen geben, mein Lieber«, sagte der Minister für Erholung und Kultur und ergriff [371] seinerseits Miles’ Hand. »Und keine krummen Touren, klar?«
    Dann zogen die Politiker ab.
    »Mein erster Stellvertreter wird sich um alles Praktische kümmern«, sagte der Betreuungsleiter gelangweilt. »Sie sollten sich jetzt zu ihm begeben.«
    Miles begab sich zu ihm.
    »So, Miles, von nun an muss ich Sie Mr. Plastic nennen«, sagte der stellvertretende Leiter. »Keine Minute mehr, und Sie sind ein Bürger. Dieses kleine Häufchen Papiere sind Sie. Wenn ich sie stempele, hört der Problemfall Miles auf zu existieren und der Bürger Mr. Plastic ist geboren. Wir schicken Sie nach Satellite City, dem nächsten Bevölkerungszentrum, wo Sie dem Wohlfahrtsministerium als Unterbeamter zugeteilt werden. In Anbetracht Ihrer besonderen Ausbildung werden Sie nicht als Arbeiter eingestuft. Sie verdienen daher zunächst einmal natürlich nicht ganz so viel. Aber Sie sind definitiv im Staatsdienst. Wir haben Ihren Fuß auf die unterste Stufe der konkurrenzfreien Karriereleiter gestellt.«
    Der stellvertretende Betreuungsleiter griff sich den Gummistempel und machte sich an sein Schöpfungswerk. Schnipp-bumm, schnipp-bumm wurden die Papiere umgeblättert und gestempelt.
    [372] »Das wär’s dann, Mr. Plastic«, sagte der stellvertretende Leiter und überreichte Miles bei diesen Worten gewissermaßen das Kind.
    Schließlich sagte auch Miles etwas: »Was muss ich tun, um wieder herzukommen?«, fragte er.
    »Immer sachte, Sie sind jetzt resozialisiert, vergessen Sie das nicht. Jetzt ist es an Ihnen, sich beim Staat für das erkenntlich zu zeigen, was er Ihnen geschenkt hat. Sie werden sich heute Vormittag beim Bezirksprogressiven melden. Der Transport ist organisiert. Der Staat sei mit Ihnen, Mr. Plastic. Passen Sie auf, das ist Ihre Persönlichkeitsbescheinigung, die Sie da fallen gelassen haben – ein unentbehrliches Dokument.«
    II
    Satellite City, eine von hundert solcher ehrgeizigen Reißbrettplanungen, war noch keine zehn Jahre alt, doch der

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