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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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Sicherheitsdom wies bereits Verschleißerscheinungen auf. Dies war der Name des großen Verwaltungsgebäudes, um das herum die Stadt entstehen sollte. Im Modell des Architekten hatte der zentrale Dom gar nicht schlecht ausgesehen, ein wenig flach, gewiss, aber die fehlende Höhe wurde durch seinen Umfang vollauf [373] ausgeglichen, die gewagte Umsetzung einer ausgeklügelten neuen Konstruktionstechnik. Doch als der Bau dann stand, war die Kuppel, vom Boden aus betrachtet, zur allgemeinen Überraschung schlicht verschwunden. Sie blieb für alle Zeit hinter den Dächern und Vorsprüngen der Seitenflügel verborgen und wurde außer von Fliegern und Turmarbeitern von niemandem je wieder von außen gesehen. Nur der Name hielt sich. Am Tag seiner Einweihung war dieser Koloss von einem Bauwerk in seiner ganzen neuen Glas-undBeton-Herrlichkeit vor den versammelten Politikern und Volkschören wie eine Fabrik erstrahlt. Seither war er an einem der recht häufigen internationalen Panikwochenenden getarnt und seine Fenster geschwärzt worden. Reinigungskräfte waren rar und meistens im Streik, und so blieb der Sicherheitsdom, das einzige feste Bauwerk von Satellite City, schmuddelig und vollgeschmiert. Es gab noch keine Arbeiterwohnungen, keine Gartenvorstadt für Beamte, keine Parks, keine Spielplätze. Eingerissen an den Kanten, von Teetassenringen befleckt, so standen sie allesamt auf den Plänen im Stadtplanungsamt; der Architekt war schon vor langem eingeäschert und seine Asche in den Docks und auf den Brennnesselfeldern verstreut worden. Somit konzentrierten sich [374] im Sicherheitsdom, mehr noch als ursprünglich beabsichtigt, sämtliche Ambitionen und Attraktionen der Stadt.
    Die Beamten versahen ihren Dienst in ewigem Zwielicht. Große Glasplatten, die eigentlich die Sonne »einfangen« sollten, ließen durch die Kratzer in ihrer Teerschicht nur wenige Strahlen passieren. Wenn am Abend das elektrische Licht anging, glomm hier und da ein schwacher Schimmer. Wenn es im Kraftwerk, wie so oft, zu einem »Lastabwurf« kam, stellten die Beamten frühzeitig die Arbeit ein und tapsten nach Hause in ihre dunklen Baracken, wo in den nutzlosen Kühlschränken ihre kärglichen Rationen still vor sich hin faulten. An Werktagen stapften die Beamten, Männlein wie Weiblein, in einer schweigenden, ärmlichen Schattenprozession über fortgeworfene Zigarettenkippen hinweg in den einstigen Liftschächten im Kreis und auf und ab.
    Unter diese Pilger der Düsternis reihte sich in den Wochen nach seiner Entlassung aus Mountjoy auch der verstoßene Miles Plastic ein.
    Er arbeitete in einer hochwichtigen Abteilung.
    Als 1945 der Gesundheitsdienst ins Leben gerufen wurde, hatte die Euthanasie noch nicht dazu gehört; sie war eine Neuerung der Torys, mit der sie unter den Alten und Todkranken Stimmen [375] fangen wollten. Unter der Koalition Bevan-Eden kam die Dienstleistung allgemein in Gebrauch und erfreute sich sofortiger Beliebtheit. Die Lehrergewerkschaft forderte die Anwendung auf schwierige Kinder. Ausländer reisten in solchen Scharen ein, um die Dienstleistung zu nutzen, dass die Einwanderungsbehörden mittlerweile jeden abwies, der nur eine einfache Fahrkarte hatte.
    Miles erkannte die Bedeutung seiner Stelle, noch bevor er sie angetreten hatte. An seinem ersten Abend im Wohnheim versammelten sich die anderen Unterbeamten um ihn und fragten ihn aus.
    »Euthanasie? Donnerwetter, haben Sie ein Glück! Die nehmen Sie da hart ran, versteht sich, aber es ist die einzige Abteilung, die expandiert.«
    »Da werden Sie befördert, bevor Sie eine Ahnung von irgendwas haben.«
    »Gütiger Staat! Sie müssen Beziehungen haben. Nur die ganz Gescheiten werden der Euthanasie zugewiesen.«
    »Ich bin jetzt seit fünf Jahren in der Empfängnisverhütung. Das ist eine Sackgasse.«
    »Es heißt, in ein oder zwei Jahren wird die Euthanasie an die Stelle der Pensionsabteilung getreten sein.«
    »Sie müssen ein Waisenkind sein.«
    [376] »Ja, bin ich.«
    »Das erklärt alles. Die Waisenkinder kriegen immer die Rosinen im Kuchen. Ich hatte ein Heiles Familienleben, der Staat steh mir bei.«
    Dieser ganze Respekt und Neid war natürlich schmeichelhaft. Es war angenehm, gute Aussichten zu haben; aber fürs Erste waren Miles’ Pflichten denkbar bescheiden.
    Er war ein kleiner Unterbeamter in einem Stab von sechs Mitarbeitern. Der Vorsteher war ein älterer Herr namens Dr. Beamish, ein Mann, dessen Charakter in den turbulenten Dreißigern geformt worden war

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