Waugh, Evelyn
und den die Erfüllung seiner Jugendhoffnungen, wie viele seiner Zeitgenossen, tief verbittert hatte. Er hatte in seinen stürmischen jungen Jahren Manifeste unterschrieben, hatte in Barcelona die Faust erhoben und für den Horizon abstrakt gemalt; er hatte bei großen Jugendaufmärschen neben Spender gestanden und für den letzten Vizekönig »Reklame« verfasst. Jetzt hatte er seinen Lohn erhalten. Er bekleidete den meistbeneideten Posten in Satellite City, und er machte mit ausgesuchter Bosheit das Schlimmste daraus. Dr. Beamish freute sich über jede Erhöhung der bürokratischen Hürden.
Satellite City stand im Ruf, das schlechteste Euthanasiezentrum im ganzen Staat zu haben. [377] Dr. Beamishs Patienten mussten so lange warten, dass sie oft eines natürlichen Todes starben, bevor er sich bequemte, sie zu vergiften.
Bei seinem kleinen Mitarbeiterstab war Dr. Beamish hoch angesehen. Sie gehörten alle dem Beamtenstand an, denn exzessives Sparen war ein Bestandteil des hässlichen Spielchens, das Dr. Beamish mit den höheren Stellen trieb. Seine Abteilung, erklärte er, könne sich bei ihrer momentanen finanziellen Ausstattung keine Arbeiter leisten. Selbst der Heizer und die Helferin, die nicht zurückgeforderte künstliche Gebisse an das Zahnersatzumverteilungszentrum lieferte, waren Unterbeamte.
Unterbeamte waren billig und reichlich vorhanden. Die Universitäten stießen sie Jahr für Jahr zu Tausenden aus. Ja, seit dem Industrieförderungsgesetz von 1955, das Arbeiter von der Steuer befreite – jenem bedeutenden und allgemein beliebten Reformwerk, das die inzwischen fest im Sattel sitzende Koalitionsregierung konsolidiert hatte –, herrschte unter den auf Staatskosten teuer ausgebildeten Beamten die schändliche einseitige Tendenz, in die Reihen der Arbeiterschaft »hinüberzuwechseln«, wie man es nannte.
Miles’ Pflichten erforderten keine besonderen Fähigkeiten. Täglich um zehn öffnete das Amt den [378] wohlfahrtsmüden Bürgern seine Tür. Miles war der Mann, der sie öffnete, den allzu ungestümen Andrang eindämmte und das erste halbe Dutzend einließ; dann schloss er die Tür vor den wartenden Scharen, bis ihm ein höherer Beamter das Zeichen zum Einlass des nächsten Schubs gab.
Die Eingelassenen fielen kurz unter Miles’ Zuständigkeit; er platzierte sie der Reihe nach, achtete darauf, dass sie sich nicht vordrängelten, und stellte zu ihrer Unterhaltung den Fernsehapparat an. Ein höherer Beamter befragte sie, überprüfte ihre Papiere und leitete die Konfiszierung ihres Eigentums in die Wege. Miles passierte niemals die Tür, durch die sie schließlich einer nach dem anderen geleitet wurden. Ein schwacher Blausäuregeruch ließ manchmal die Mysterien erahnen, die sich dahinter abspielten. Unterdessen fegte er das Wartezimmer, leerte den Papierkorb und kochte Tee – Arbeitertätigkeiten, für die er nach den Weihen von Mountjoy überqualifiziert war.
In seinem Wohnheim blickten dieselben Reproduktionen von Léger und Picasso auf ihn herab, denen er schon in der Kindheit ausgesetzt gewesen war. Im Kino, dessen Besuch er sich bestenfalls einmal die Woche leisten konnte, flackerten und schnatterten vor ihm dieselben Filme, die er bereits unentgeltlich im Waisenhaus, im [379] Luftwaffenstützpunkt und im Gefängnis gesehen hatte. Er war ein Kind des Wohlfahrtsstaates, strikt eingeübt in ein Leben der Langeweile, aber es war ihm schon einmal bessergegangen. Er hatte die friedliche Melancholie im Park von Mountjoy erlebt. Er hatte Ekstase empfunden, als die Luftwaffenausbildungsanstalt in einem Flammentaifun zu den Sternen aufgestoben war. Und während er träge zwischen Dom und Wohnheim hin- und herstapfte, klangen ihm die Worte des alten Knackis im Ohr: »Sie haben nicht genug Scherereien gemacht.«
Da fiel eines Tages aus der unwahrscheinlichsten Richtung, seiner sterbenslangweiligen Abteilung, ein Hoffnungsstrahl in sein Leben.
Miles erinnerte sich später an jede Einzelheit dieses Vormittags. Er hatte ganz normal angefangen, eigentlich schlechter als normal, denn sie machten nach einer Woche Zwangspause wieder auf. Es hatte einen Bergarbeiterstreik gegeben, und die Euthanasie war zum Erliegen gekommen. Jetzt waren die notwendigen Kapitulationen unterzeichnet, die Öfen glühten wieder, und die Schlange vor dem Patienteneingang reichte um den halben Dom herum. Dr. Beamish beäugte die wartende Menge durch das Periskop und sagte voller Genugtuung: »Es wird Monate dauern, bis [380] wir
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