Way Out
Schuss aus einer Schrotflinte zerrissen, der wie eine Explosion über die Felder hallte. Reacher und Pauling duckten sich instinktiv. Dann suchten sie den Horizont ab, suchten nach Rauch. Suchten nach dem Schützen.
Pauling fragte: »Taylor?«
Reacher sagte: »Ich sehe ihn nicht.«
»Wer könnte es sonst gewesen sein?«
»Der Schuss war zu weit weg, um effektiv zu sein.«
»Jäger?«
»Stell den Motor ab«, sagte Reacher. Er horchte angestrengt. Hörte nichts mehr. Keine Bewegung, kein Nachladen.
»Ich glaube, das war eine Vogelscheuche!«, sagte er. »Sie haben gerade eine Wintersaat ausgebracht. Sie wollen nicht, dass das Saatgut von Krähen gefressen wird. Es gibt Geräte, glaube ich, die tagsüber in unregelmäßigen Abständen Platzpatronen verschießen.«
»Hoffentlich war’s wirklich nur das.«
»Lass uns später wieder herkommen«, sagte Reacher. »Jetzt müssen wir zu Dave Kemp im Dorfladen.«
Pauling ließ den Motor an und fuhr weiter. Reacher drehte sich zur Seite und beobachtete, wie draußen die Osthälfte der Farm vorbeizog. Sie sah genau wie die Westhälfte aus – nur eben spiegelverkehrt. Bäume in Hausnähe, dann weite ebene Felder, dann der Grenzgraben. Danach kam der nördliche Ast der Straßenkreuzung von Bishops Pargeter. Anschließend der Weiler selbst, der aus kaum mehr als einer alten Steinkirche im oberen rechten Quadranten und einer hundertfünfzig Meter langen Häuserzeile auf der gegenüberliegenden Straßenseite bestand. Die meisten Gebäude schienen Wohnhäuser zu sein, aber eines davon war ein langer, niedriger Mehrzweckbau, Zeitungsladen, Lebensmittelgeschäft und Postagentur in einem. Weil es dort Zeitungen und Frühstücksbedarf gab, hatte der Laden bereits geöffnet.
»Die direkte Annäherung?«, fragte Pauling.
»Eine Variante«, antwortete Reacher.
Sie parkten gegenüber, wo das Bankett in der Nähe des Eingangs zum Kirchhof aufgekiest war. Als sie ausstiegen, blies ihnen ein steifer Ostwind entgegen. Reacher sagte: »Männer, die hier stationiert waren, schwören bis heute, dass er geradewegs aus Sibirien kommt, ohne durch irgendwas aufgehalten zu werden.« Im Gegensatz zu draußen war es im Dorfladen warm und gemütlich. Hier brummte eine Gasheizung, die feuchtwarme Luft abgab. Der Laden war dreigeteilt: links ein unbeleuchteter, geschlossener Postschalter, in der Mitte die Lebensmittelabteilung, rechts eine Zeitungs- und Zeitschriftentheke. Hinter der Theke arbeitete ein alter Mann, der Schal und Strickweste trug. Er sortierte Zeitungen und hatte von der Druckerschwärze graue Finger.
»Sind Sie Dave Kemp?«, wollte Reacher wissen.
»Das ist mein Name«, entgegnete der Alte.
»Wir haben gehört, dass Sie der Mann sind, den wir fragen sollten.«
»Wonach?«
»Wir sind mit einem Auftrag hier«, antwortete Reacher.
»Jedenfalls sind Sie früh unterwegs.«
»Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, sagte Reacher, weil das der Detektiv in London gesagt hatte, sodass es hoffentlich echt klingen würde.
»Was wollen Sie also?«
»Wir sind hier, um Farmen zu kaufen.«
»Sie sind Amerikaner, stimmt’s?«
»Wir vertreten einen Agrarkonzern aus den Vereinigten Staaten, ja. Wir sind auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten. Und wir können sehr großzügige Vermittlungsgebühren anbieten.«
Die direkte Annäherung. Eine Variante.
»Wie viel?«, fragte Kemp.
»Gewöhnlich gibt’s einen Prozentsatz.«
»Was für Farmen?«, fragte Kemp.
»Das möchten wir von Ihnen hören. Im Allgemeinen suchen wir ordentliche, gut geführte Betriebe, bei denen es vielleicht gewisse Schwierigkeiten mit der Eigentümerstabilität gibt.«
»Was, zum Teufel, soll denn das heißen?«
»Das heißt, dass wir gute Farmen wollen, die vor Kurzem von Amateuren gekauft wurden. Aber wir wollen sie rasch, bevor sie ruiniert sind.«
»Grange Farm«, sagte Kemp. »Das sind verdammte Amateure. Haben auf biologisch-dynamischen Anbau umgestellt.«
»Den Namen haben wir schon gehört.«
»Diese Farm sollte ganz oben auf Ihrer Liste stehen. Sie entspricht genau Ihren Vorgaben. Diese Leute haben sich mehr zugemutet, als sie bewältigen können. Und das auch, wenn sie beide daheim sind. Was nicht immer der Fall ist. Erst jetzt war der Mann ein paar Tage allein zu Hause. Einer allein kann die Arbeit überhaupt nicht schaffen. Vor allem kein verdammter Amateur. Und sie haben zu viele Bäume. Mit Bäumen ist kein Geld zu verdienen.«
»Grange Farm klingt vielversprechend«, sagte Reacher.
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