Way Out
ihnen an, Kaffee nachzuschenken. Pauling lehnte dankend ab. Reacher nahm an, sagte: »Die Cops haben heute Morgen einen unbekannten Toten im Fluss gefunden. Einen Weißen, ungefähr vierzig. Droben am Bootshafen. Mit einem Kopfschuss getötet. Lane hat deswegen einen Anruf bekommen.«
»Taylor?«
»Ziemlich sicher.«
»Was passiert als Nächstes?«
»Wir arbeiten mit dem, was wir haben«, erwiderte Reacher. »Wir machen uns die Theorie zu eigen, dass Knight oder Hobart sich nach seiner Heimkehr an Lane rächen wollte.«
»Wie machen wir weiter?«
»Mit harter Arbeit«, antwortete Reacher. »Ich verlasse mich nicht darauf, dass wir etwas aus dem Pentagon bekommen. Der Kerl kann so viele Sterne und Narben haben, wie er will – er bleibt im Herzen doch ein Bürokrat.«
»Möchten Sie den Fall durchsprechen? Ich war früher auch Ermittlerin. Sogar eine ziemlich gute. Jedenfalls habe ich mir das eingebildet, bis... nun, Sie wissen ja, was passiert ist.«
»Reden hilft nicht weiter. Ich muss nachdenken.«
»Dann denken Sie einfach laut. Was passt irgendwie nicht? Was fällt aus dem Rahmen? Was hat Sie aus irgendeinem Grund überrascht?«
»Die ursprüngliche Entführung. So kann sie nicht abgelaufen sein.«
»Was noch?«
»Alles. Mich überrascht, dass ich nirgends auch nur im Geringsten weiterkomme. Entweder ist irgendetwas mit mir nicht in Ordnung – oder an dieser ganzen Situation ist etwas faul.«
»Sie stecken den Rahmen zu weit«, sagte Pauling. »Fangen Sie mit Details an. Benennen Sie irgendetwas, das Sie überrascht hat.«
»War das früher Ihre Methode? Beim FBI? Wenn Sie bei Besprechungen spontane Einfälle gesammelt haben?«
»Absolut. Sie vielleicht nicht?«
»Ich war ein MP. Ich konnte von Glück sagen, wenn jemandem mal was eingefallen ist.«
»Nein, im Ernst. Erzählen Sie mir etwas, das Sie überrascht hat.«
Reacher nahm einen Schluck Kaffee. Sie hat recht, dachte er. Es gibt immer etwas, das nicht zum Kontext passt, noch bevor man überhaupt weiß, wie der aussehen sollte.
»Nur irgendeine Kleinigkeit«, sagte Pauling. »Einfach irgendwas.«
Reacher sagte: »Ich bin aus dem schwarzen BMW ausgestiegen, nachdem Burke die Tasche im Jaguar deponiert hatte, und war überrascht, wie blitzschnell der Kerl auf dem Fahrersitz saß. Ich dachte, ich würde Zeit haben, um die Ecke zu schlendern und einen Beobachtungsposten zu beziehen. Aber er war sofort da, praktisch gleichzeitig mit mir. Höchstens ein paar Sekunden später. Ich habe ihn nur ganz flüchtig gesehen.«
»Und was bedeutet das?«
»Dass er ganz in der Nähe auf der Straße gewartet hat.«
»Aber das durfte er nicht riskieren. War er Knight oder Hobart, hätte Burke ihn sofort erkannt.«
»Vielleicht hat er in einem Hauseingang gestanden.«
»Dreimal nacheinander? Er hat denselben Hydranten dreimal als Übergabepunkt benützt. Zu drei verschiedenen Tageszeiten. Spätnachts, am frühen Morgen, während des Berufsverkehrs. Und er könnte auffallen, je nachdem wie sehr er verstümmelt ist.«
»Der Mann, den ich gesehen habe, war in keiner Weise auffällig. Er war nur irgendein Typ.«
»Mag sein, aber es wäre trotzdem schwierig gewesen, jedes Mal eine gute Deckung zu finden. Ich hab’s selbst schon gemacht. Viele Male. Auch in einer bestimmten Nacht vor fünf Jahren.«
Reacher sagte: »Sie müssen aufhören, sich Vorwürfe zu machen.«
Aber er dachte: Gute Deckung.
Er erinnerte sich daran, wie er zwischen den Autositzen hin- und herrollend der Albtraumstimme gelauscht hatte. Erinnerte sich daran, gedacht zu haben: An der gleichen Stelle? Er steht an demselben gottverdammten Hydranten?
An demselben gottverdammten Hydranten.
Gute Deckung.
Er stellte seine Kaffeetasse ab, langsam, behutsam, und ergriff dann Paulings linke Hand mit seiner Rechten. Führte sie an seine Lippen und küsste sie zart. Ihre Finger waren kühl und schlank und dufteten nach einer guten Seife. Er mochte sie.
»Danke«, sagte er. »Ich danke Ihnen sehr.«
»Wofür?«
»Er hat einen Hydranten dreimal nacheinander als Übergabepunkt benützt. Weshalb? Weil ein Hydrant fast immer einen freien Platz am Randstein garantiert, deshalb. Wegen des Parkverbots. An einem Hydranten darf man nicht parken. Das weiß jeder. Aber er hat immer den selben Hydranten gewählt. Warum? Hydranten gibt’s in New York reichlich – pro Straßenblock mindestens einen. Weshalb also speziell dieser? Weil er ihm gefallen hat, deshalb. Aber warum hat ihm dieser eine gefallen?
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