Waylander der Graue
und stieß die Tür auf. Niallad ging zu dem Grauen Mann hinüber.
»Guten Abend, Sir«, sagte Niallad höflich. »Ich hoffe, du genießt das Fest meines Vaters.«
»Es war sehr freundlich von ihm, mich einzuladen«, sagte der Graue Mann und streckte die Hand aus.
Niallad schüttelte sie. Von nahem betrachtet erkannte er, dass die Kleidung des Grauen Mannes nicht ganz frei von schmückenden Elementen war. Sein Gürtel wies eine schöne, wenn auch ungewöhnliche Schnalle aus poliertem Eisen auf, die geformt war wie eine Pfeilspitze. Dieselbe Form fand sich auf der Außenseite seiner hohen Stiefel wieder.
Ein schabendes Geräusch hinter ihm ließ Niallad flink herumfahren. An einem Tisch ganz in der Nähe schärfte ein Koch sein Tranchiermesser. Niallad fühlte Panik in sich aufsteigen.
Der Graue Mann sagte leise: »Ich mag keine Menschenmengen. Sie machen mich nervös.«
Niallad bemühte sich, Ruhe zu bewahren. Wollte der Mann ihn verspotten? »Wie kommt das?«, hörte er sich fragen.
»Wahrscheinlich, weil ich zu lange mit mir allein war, unterwegs im Hochland. Ich mag den Frieden, den ich dort finde. Das bedeutungslose Geschwätz bei solchen Ereignissen wie hier zerrt an meinen Nerven. Würdest du gern mit mir auf der Terrasse etwas frische Luft schnappen?«
»Ja, sehr gern«, sagte Niallad dankbar. Sie gingen durch die Bogentür und traten auf die gepflasterte Terrasse. Die Nacht war kühl, der Himmel klar. Niallad konnte das Meer riechen. Er merkte, wie er ruhiger wurde.
»Ich nehme an«, sagte er, »dass solche Probleme mit Menschenmengen nach einer Weile verschwinden, wenn man sich erst an sie gewöhnt hat.«
»Bei den meisten Problemen dieser Art ist das so«, stimmte der Graue Mann zu. »Der Trick besteht darin zuzulassen, dass man selbst sich daran gewöhnt.«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Wenn du vor einem knurrenden Hund stündest, was würdest du tun?«
»Ganz still stehen«, sagte Niallad.
»Und wenn er dich angriffe?«
»Wenn ich bewaffnet wäre, würde ich versuchen, ihn zu töten. Wenn nicht, würde ich ihn laut anbrüllen und nach ihm treten.«
»Was würde passieren, wenn du versuchen würdest davonzulaufen?«
»Er würde mich verfolgen und mich beißen. Das machen Hunde nun mal so.«
»Und mit der Angst ist es genauso«, sagte der Graue Mann. »Du kannst ihr nicht davonlaufen. Sie folgt dir und schnappt nach deinen Fersen. Die meisten Ängste vergehen, wenn man ihnen ins Gesicht sieht.«
Ein Diener trat auf die Terrasse mit einem Tablett, auf dem Kristallgläser mit verdünntem Wein standen. Niallad nahm eins und dankte dem Mann, der sich mit einer Verbeugung zurückzog.
»Man sieht nur selten einen Edelmann, der einem Diener dankt«, bemerkte der Graue Mann.
»Soll das eine Kritik sein?«
»Nein. Ein Kompliment. Bleibst du lange in Carlis?«
»Nur ein paar Wochen. Mein Vater wollte sich mit den Herrschern der vier Häuser treffen. Er möchte einen weiteren Krieg verhindern.«
»Hoffentlich gelingt es ihm.«
In diesem Augenblick kam Gaspir auf die Terrasse. Er verbeugte sich. »Dein Vater möchte dich sehen, junger Herr«, sagte er.
Niallad streckte dem Grauen Mann seine Hand entgegen, der sie nahm und schüttelte. »Danke für deine Gesellschaft«, sagte er. Der Graue Mann verbeugte sich.
Niallad ging davon. Irgendwie hatte die Unterhaltung mit dem Grauen Mann seine Nerven beruhigt, doch sein Herz begann schneller zu schlagen, als er in die Menge trat.
Blick ihr ins Gesicht, befahl er sich. Es ist nichts weiter als ein knurrender Hund, und du bist ein Mann. Du brauchst nur eine kleine Weile hier zu bleiben, dann kannst du dich wieder in deine Zimmer flüchten.
Niallad ging weiter, seine Miene war entschlossen und grimmig.
Waylander sah dem Jungen nach, wie er durch den Saal ging. Der Leibwächter Gaspir folgte ihm dichtauf den Fersen. Er sah auch Eldicar Manushan, der sich lächelnd durch die Menge bewegte und hier und dort plaudernd stehen blieb. Waylander sah, dass sein langes Gewand zu schimmern und seine Farbe zu verändern schien, wenn er sich bewegte. Auf den ersten Blick wirkte es silbergrau, aber die Falten glitzerten zeitweise in Abstufungen von Rosa und Rot, Zitronengelb und Gold. Waylanders Blick schweifte durch den Saal. Seit er das letzte Mal hier war, hatte man einiges verändert. Die Treppenaufgänge waren jetzt verschlossen, und die Bogengänge, die zur Bibliothek führten, prunkten jetzt mit schweren Eichentüren. Ihm gefiel der alte Zustand
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