Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waylander der Graue

Waylander der Graue

Titel: Waylander der Graue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
Vom Netzwerk:
träumte ständig von Finsternis, einem unbekannten Labyrinth von Korridoren und den verstohlenen Schritten eines Attentäters, den er nie sehen konnte.
    Niallad wandte sich vom Spiegel ab und ging zu der Truhe, die unter dem Fenster stand. Er öffnete sie und zog eine graue Tunika und dunkle Hosen heraus. Er schlüpfte in die wadenhohen Reitstiefel und schnallte sich den Dolchgürtel um die Hüften. Dann klopfte es leise an der Tür.
    »Herein!«, rief er.
    Der Leibwächter Gaspir trat ein. Er deutete auf den Dolchgürtel. »Keine Waffen, junger Herr«, sagte er. »Befehl deines Vaters.«
    »Ja, natürlich. Ein Saal voller Feinde, und wir tragen keine Waffen.«
    »Nur die Freunde des Herzogs wurden eingeladen«, sagte Gaspir.
    »Panagyn ist kein Freund, und Aric traue ich nicht über den Weg.«
    Der breitschultrige Leibwächter zuckte die Achseln. »Selbst wenn Panagyn ein Feind wäre, er müsste ein Narr sein, einen Mordanschlag in einem Saal voller Anhänger des Herzogs zu versuchen. Beruhige dich. Heute Abend wird doch ein Fest gefeiert.«
    »Sind viele Leute da?«, fragte Niallad, bemüht, seine Angst nicht zu zeigen.
    »Bis jetzt nur etwa hundert, aber es kommen immer noch mehr.«
    »Ich bin gleich unten«, sagte Niallad. »Gibt es schon etwas zu essen?«
    »Ja, es sieht köstlich aus.«
    »Dann geh hinunter und iss etwas, Gaspir. Ich treffe dich später.«
    Der Wachmann schüttelte den Kopf. »Du bist in meiner Obhut junger Herr. Ich warte vor der Tür.«
    »Ich dachte, du hättest gesagt, es bestünde keine Gefahr.«
    Der Mann wollte auf seinem Standpunkt beharren, nickte dann aber. »Es soll sein, wie du sagst«, erwiderte er schließlich, »aber ich werde nach dir Ausschau halten. Bleib nicht zu lange, Herr.«
    Allein in der Zuflucht seiner Räume, spürte Niallad, wie seine Angst wuchs. Es war nicht einmal so, dass er erwartete, angegriffen zu werden. Sein Verstand wusste, dass das höchst unwahrscheinlich war. Und doch konnte er seine Angst nicht unterdrücken. Sein Onkel war in seinem eigenen Garten gewesen, als der Attentäter Waylander ihm in den Rücken geschossen hatte. In seinem eigenen Garten! Als der König ermordet und das Land in einem Zustand nahe der Anarchie war, war die vagrische Armee über die Grenze eingefallen, hatte Städte und Dörfer niedergebrannt und Tausende ermordet.
    Niallad setzte sich aufs Bett, schloss die Augen und tat mehrere tiefe beruhigende Atemzüge. Ich lasse mich von dieser Angst nicht unterkriegen, versprach er sich. Er stand auf, marschierte durchs Zimmer und zog die Tür auf. Sogleich hörte er den Lärm von unten, Plaudern, Lachen, das Klappern von Besteck; alles zusammen wirkte leicht disharmonisch und vage bedrohlich. Niallad ging zu dem Geländer am Rand der Galerie und blickte hinunter. Mindestens hundertfünfzig Menschen waren bereits versammelt. Sein Vater und seine Mutter saßen fast direkt unter ihm, ihre Stühle standen auf einer kreisförmigen Empore. Graf Aric stand dicht bei ihnen, ebenso der Magier Eldicar Manushan mit dem kleinen Beric. Der Junge schaute auf und sah ihn. Beric lächelte und winkte. Die Männer, die um den Herzog herumstanden, blickten ebenfalls nach oben. Niallad nickte ihnen zu und trat vom Geländer zurück. In der anderen Ecke des Saales sah er den stämmigen Priester Chardyn, der sich mit einer Gruppe von Frauen unterhielt. Und dort, an der Bogentür zur Terrasse, stand der Graue Mann allein. Er trug ein ärmelloses Wams aus gebürsteter grauer Seide über einem schwarzen Hemd und ebensolchen Beinkleidern. Sein langes, schwarzsilbernes Haar hatte er mit einem schmalen schwarzen Stirnband zurückgehalten. Er trug keinerlei Schmuck oder Zierrat. An seinen Fingern steckten keine Ringe. Als ob er seinen Blick spürte, sah der Graue Mann hoch, erkannte Niallad und hob seinen Becher. Niallad ging die Treppe hinunter und zu ihm hinüber. Er kannte den Mann zwar kaum, aber um ihn herum war Platz und hinter ihm die lockende Sicherheit der Terrasse.
    Der Zugang zur Treppe war kürzlich durch einen Bogengang mit zwei Türen abgeriegelt worden. Ein Wachmann stand innerhalb dieses Vestibüls. Er verbeugte sich, als Niallad auf die Tür zuging. Das Vestibül sperrte einen großen Teil der Geräusche im Saal aus, und Niallad spielte mit dem Gedanken, sich noch eine Weile mit dem Wachmann zu unterhalten, um den gefürchteten Augenblick hinauszuzögern, wenn er durch die Tür gehen und sich der Menge stellen musste. Doch der Mann hob den Riegel

Weitere Kostenlose Bücher