Waylander der Graue
Augenblicke später riss ihn das Wasser mit sich, und er ertrank.«
»Und was ist die Moral von der Geschicht?«, fragte Chardyn.
»Der Geist des Mannes erschien vor der QUELLE. Der Mann war wütend. ›Ich habe an dich geglaubt, sagte er. ›Und du hast mich verraten.‹ Die QUELLE sah ihn an und sagte: ›Aber mein Sohn, ich habe einen Reiter, zwei Schwimmer und ein Boot geschickt. Was wolltest du noch mehr?‹«
Chardyn lächelte. »Das gefällt mir. Ich werde es in einer meiner Predigten verwenden.« Dann schwieg er.
Im Saal gingen Eldicar Manushan, Graf Aric und Graf Panagyn zu der Tür am Fuß der Treppe. Ein Wachmann öffnete ihnen, und sie gingen hinaus.
Waylander sah auch andere Gäste still den Saal verlassen. Die meisten waren Panagyns Anhänger. Seine Miene wurde hart. Sein Herz begann schneller zu schlagen, und eine Ahnung von Gefahr stieg in ihm auf. Als er zu den Terrassentüren ging, sah er einen Trupp Soldaten durch den Garten marschieren.
Die fünfköpfige Truppe stieg die Stufen zur Terrasse empor. Waylander nahm den Priester beim Arm und zog den überraschten Mann in die Nacht hinaus. Die Wachen ignorierten sie, stießen die schweren Türen zu und legten einen Querbalken davor, ehe sie weitermarschierten.
»Was soll das?«, fragte Chardyn. »Wie kommen wir jetzt wieder rein?«
»Glaub mir, Priester, du willst gar nicht wieder hinein.« Waylander beugte sich vor. »Ich erteile nicht oft Ratschläge«, sagte er, »aber wenn ich du wäre, würde ich jetzt gehen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Alle Ausgänge aus dem Saal sind versperrt worden. Die Treppen sind blockiert. Das ist kein Bankettsaal mehr, mein Freund. Das ist ein Schlachtfeld.«
Und ohne ein weiteres Wort ging Waylander davon in die Nacht.
Als er die westliche Gartenpforte erreichte, blieb er stehen und warf einen Blick zurück auf den Palast, der sich vor dem dunklen Nachthimmel abzeichnete. Zorn flammte in ihm auf, aber er unterdrückte ihn. Jedermann in diesem Saal war dem Tode geweiht. Sie würden abgeschlachtet werden wie Vieh.
Wolltest du mich deshalb hier haben, Orien?, fragte er sich, sodass ich sterben würde, weil ich deinen Sohn getötet habe?
Er verwarf den Gedanken so schnell, wie er aufgetaucht war. In dem alten König war keine Bosheit. Waylander hatte seinen Sohn ermordet, trotzdem hatte der alte Mann ihm eine Chance gegeben, die Bronzerüstung zu finden und sich zumindest teilweise von seinen Sünden reinzuwaschen. Warum war er also Ustarte erschienen? Es galt keine mystische Rüstung zu finden, keine große und gefahrvolle Aufgabe zu übernehmen. Waylander hatte an dem Fest teilgenommen, und das war alles gewesen, um das man ihn gebeten hatte.
Warum wolltest du dann, dass ich hier bin?
Plötzlich erschien vor seinem geistigen Auge das Bild eines verängstigten jungen Mannes, eines Jungen, der sich vor Menschenansammlungen fürchtete und in ständiger Angst vor Mordanschlägen lebte. Oriens Enkel.
Mit einer leisen Verwünschung machte Waylander kehrt und rannte zurück zum Palast.
Im Saal ertönte eine Trompete, und alle Gespräche verebbten. Graf Aric und Eldicar Manushan erschienen auf der nördlichen Galerie oberhalb der Menge.
»Meine lieben Freunde«, sagte Aric. »Jetzt kommt der Moment, auf den ihr alle gewartet habt, wie ich auch. Unser Freund Eldicar Manushan wird euch mit unbeschreiblichen Wundern unterhalten.«
Donnernder Applaus brach aus, und der Magier hob die Hände.
Da alle Türen geschlossen waren, begann die Temperatur in dem Saal zu steigen. Wie er es auch bei Waylander getan hatte, erschuf der Magier kleine wirbelnde Kugeln aus weißem Nebel, die über dem Publikum tanzten und schwebten und die Luft kühlten. Sie bekamen viel Beifall.
Ein riesiger Löwe mit schwarzer Mähne erschien mitten im Saal und stürzte sich auf die Festgäste. Ein paar Schreie ertönten, gefolgt von erleichtertem Gelächter, als der Löwe sich in eine Schar kleiner blauer Singvögel verwandelte, die zur Decke emporflogen. Das Publikum klatschte wie wild. Die Vögel umkreisten den Saal, dann scharten sie sich zusammen und verschmolzen zu einem kleinen, fliegenden Drachen mit goldenen Schuppen, lang gestreckter Schnauze und flammenden Nüstern. Er stieß auf die Menge herab und sandte brüllende Flammen aus, die die Zuschauer an der Westwand einhüllten. Wieder einmal folgten Lachen und Beifall auf Geschrei, als die Opfer sahen, dass ihre schönen Seidenkleider und Anzüge nicht die Spur versengt
Weitere Kostenlose Bücher