Waylander der Graue
Gürtel mit einem Messer mit beinernem Griff.
»Das ist für mich?«
»Wenn du es willst.«
»Was willst du mir sagen, Grauer Mann? Drück dich deutlich aus.«
»Ich brauche jemanden, der Ustarte von hier zu einem Ort relativer Sicherheit bringt. Es muss jemand sein mit Verstand und Mut, jemand, der nicht in Panik gerät, wenn das Chaos beginnt. Ich bitte dich nicht, das zu tun, Keeva. Ich habe nicht das Recht dazu. Wenn du dich entscheidest, in dein Zimmer zurückzukehren, werde ich nicht schlecht von dir denken.«
»Wo ist dieser Ort der Sicherheit?«
»Etwa einen Tagesritt von hier.« Er trat dichter an sie heran. »Überleg es dir genau. Ich bleibe solange bei Ustarte.«
Keeva stand allein im Waffenraum. Sie trat vor und legte die Hand auf das Jagdwams. Das Leder war weich und leicht eingeölt. Sie zog das Jagdmesser aus der Scheide und wog es in der Hand. Es war perfekt ausbalanciert und zweischneidig. Widersprüchliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie schuldete dem Grauen Mann ihr Leben, und diese Schuld lastete schwer auf ihr. Aber sie liebte auch das Leben im Palast. So stolz, wie sie auch auf ihren Anteil am Kampf gegen die Dämonen war, hatte Keeva nicht den Wunsch, in weitere Gefahren zu geraten. Sie hatte bei dem Überfall auf ihr Dorf Glück gehabt. Camran hätte sie auch auf der Stelle töten können. Dieses Glück hatte sich durch die Ankunft des Grauen Mannes verdoppelt. Aber sicher stieß das Glück eines Einzelnen auch irgendwann an seine Grenzen. Keeva hatte das Gefühl, diese Grenze zu überschreiten, wenn sie sich einverstanden erklärte, die Priesterin zu begleiten.
»Was soll ich tun, Onkel?«, flüsterte sie.
Der Tote gab keine Antwort, aber Keeva dachte an seinen oft wiederholten Rat:
»Wenn du im Zweifel bist, dann hie das, was richtig ist, Mädchen.«
KAPITEL 10
Waylander ging zum Bett. Ustarte hatte die goldenen Augen aufgeschlagen. Er setzte sich neben sie.
»Es war nicht recht von dir, das zu tun«, sagte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern.
»Ich ließ ihr die Wahl.«
»Nein. Sie schuldet dir ihr Leben. Sie wird sich dazu verpflichtet fühlen, zu tun, um was du sie bittest.«
»Ich weiß, aber ich hatte auch nicht viele Möglichkeiten«, gab er zu.
»Du könntest ein Freund Kuan Hadors werden«, erinnerte sie ihn.
Er schüttelte den Kopf. »Ich wäre neutral geblieben, aber sie haben Tod über mein Haus und meine Leute gebracht. Das kann ich nicht verzeihen.«
»Da steckt noch mehr dahinter«, sagte sie.
Er lachte aufrichtig. »Ich vergaß für einen Moment, dass du Gedanken lesen kannst.«
»Und mit Geistern sprechen«, erinnerte sie ihn. Sein Lächeln verblasste. In der ersten Nacht, in der er sie gepflegt hatte, war Ustarte erwacht und hatte ihm erzählt, Orien, der Kriegskönig der Drenai, sei ihr erschienen. Das hatte Waylander erschüttert, denn derselbe Geist war ihm vor Jahren erschienen und hatte ihm die Chance geboten, seine Schuld zu tilgen, indem er die Bronzerüstung fand.
»Ist er noch einmal zu dir gekommen?«
»Nein. Er trägt dir nichts nach, und er wollte, dass du das weißt.«
»Er sollte aber. Ich habe seinen Sohn getötet.«
»Ich weiß«, sagte sie traurig. »Du warst damals ein anderer Mensch und fast jenseits von Erlösung. Aber das Gute in dir hat gekämpft. Er hat dir verziehen.«
»Seltsamerweise ist das schwerer zu ertragen als Hass«, meinte er.
»Das liegt daran, dass du dir selbst nicht verzeihen kannst.«
»Kannst du denn auch die Gedanken von Geistern lesen?«, fragte er.
»Nein, aber ich mochte ihn.«
»Er war ein König«, erzählte Waylander, »ein großer König. Er rettete die Drenai und schmiedete ein Volk zusammen. Als er alt war und sein Augenlicht nachließ, dankte er zu Gunsten seines Sohnes Niallad ab.«
»Das weiß ich aus deinen Erinnerungen«, sagte sie. »Er verbarg die Bronzerüstung. Du fandest sie.«
»Er hatte mich darum gebeten. Wie hätte ich ablehnen können?«
»Einige hätten es getan. Und jetzt hat er dich um einen zweiten Gefallen gebeten.«
»Das ergibt für mich keinen Sinn. Die Wiederentdeckung der Bronzerüstung half den Drenai dabei, einen großen Feind zu überwinden. Aber zu einem Bankett gehen? Was interessiert einen toten König ein Bankett?«
»Das hat er nicht gesagt. Aber ich glaube, du wirst in Gefahr sein, wenn du gehst. Weißt du das?«
»Ich weiß.«
Keeva kam aus dem Waffenzimmer herein. Waylander drehte sich um und sah sie im Türrahmen stehen. Sie
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