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Waylander der Graue

Waylander der Graue

Titel: Waylander der Graue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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Gipfeln. Der ältliche Mann seufzte und zog die Vorhänge fest zu. Dabei fiel der Blick aus seinen mandelförmigen Augen auf seinen schmalen Handrücken mit den braunen Altersflecken, die die trockene Haut sprenkelten.
    Der Kiatze-Kaufmann griff nach einer kleinen, verzierten Holzschachtel und nahm einen Tiegel süß duftender Lotion heraus, die er sorgfältig in seine Hände rieb, bevor er sich wieder in die Kissen zurücklehnte und die Augen schloss.
    Matze Chai hasste die Berge nicht. Hass bedeutete, einer Leidenschaft nachzugeben, und in Matzes Augen verriet Leidenschaft einen unzivilisierten Geist. Er verabscheute das, was die Berge darstellten, was die Philosophen den »Spiegel der Sterblichkeit« nannten. Die Gipfel waren ewig, änderten sich nie, und wenn ein Mensch sie betrachtete, wurde seine eigene vergängliche Natur offenbar, die Gebrechlichkeit seines Fleisches plötzlich greifbar. Und gebrechlich war er, dachte er und betrachtete seinen kommenden siebzigsten Geburtstag mit einer Mischung aus Unruhe und Angst.
    Er beugte sich vor und schob ein Paneel in der Wand zurück, das einen rechteckigen Spiegel freigab. Matze Chai betrachtete sein Spiegelbild. Das schüttere Haar, straff über den Kopf gekämmt und im Nacken geflochten, war so schwarz wie in seiner Jugend, doch eine winzige graue Linie am Scheitel zeigte an, dass er es bald wieder färben lassen musste. Sein schmales Gesicht wies nur wenige Falten auf, doch die Haut am Hals war faltig, und selbst der hohe Kragen seines gold- und scharlachroten Gewandes konnte das nicht länger verbergen.
    Die Sänfte taumelte plötzlich nach rechts, als einer der acht Träger, erschöpft nach sechs Stunden harter Arbeit, auf einem losen Stein ausrutschte. Matze Chai läutete die kleine goldene Glocke, die auf dem geschnitzten Paneel am Fenster befestigt war. Die Sänfte kam behutsam zum Stehen und wurde zu Boden gelassen.
    Sein Rajnee, Kysumu, öffnete die Tür. Der kleine Krieger streckte die Hand aus. Matze Chai ergriff sie und trat aus der Sänfte. Sein langes Gewand aus reich bestickter gelber Seide schleifte über den felsigen Pfad. Er sah sich um. Die sechs Soldaten seiner Leibwache saßen schweigend auf ihren Pferden. Hinter ihnen kletterte die zweite Gruppe von Trägern vom ersten der drei Fuhrwerke. In rotschwarze Livree gekleidet, marschierten die acht Männer nach vorn, um die müde erste Mannschaft abzulösen, die schweigend zum Fuhrwerk trottete.
    Ein weiterer livrierter Diener lief mit einem silbernen Becher herbei. Er verbeugte sich vor Matze Chai und bot ihm den verdünnten Wein an. Der Kaufmann nahm den Becher und nippte daran. »Wie lange noch?«, fragte er den Mann.
    »Hauptmann Liu sagt, wir werden am Fuße der Berge lagern, Herr. Der Kundschafter hat einen geeigneten Platz gefunden. Er sagt, es ist eine Stunde von hier.«
    Matze Chai trank noch ein wenig, dann gab er dem Diener den noch halb vollen Becher zurück. Er kletterte wieder in die Sänfte und ließ sich auf seinen Kissen nieder. »Leiste mir Gesellschaft, Kysumu«, bat er.
    Der Krieger nickte, zog Schwert und Scheide aus der Schärpe seines langen grauen Gewandes, kletterte in die Sänfte und nahm gegenüber dem Kaufmann Platz. Die acht Träger packten die gepolsterten Balken und hoben sie auf Taillenhöhe. Auf einen geflüsterten Befehl des Oberträgers hievten sie die Balken auf ihre Schulter.
    In der Sänfte stieß Matze Chai einen zufriedenen Seufzer aus. Er hatte seine beiden Mannschaften gut ausgebildet und auf jede Einzelheit Wert gelegt. Eine Reise per Sänfte ähnelte gewöhnlich der in einem kleinen Segelboot auf stürmischer See. Sie torkelte von Seite zu Seite, und nach wenigen Minuten wurde es Passagieren mit empfindlichem Magen leicht übel. Nicht jedoch, wenn man mit Matze Chai reiste. Seine Mannschaften bestanden aus je acht Männern gleicher Größe, die zu Hause in Namib täglich stundenlang trainierten. Sie waren gut bezahlte, gut ernährte, starke junge Arbeitskräfte, Männer mit wenig Fantasie, aber großer Kraft.
    Matze Chai lehnte sich in den Kissen zurück und richtete den Blick auf den schlanken, dunkelhaarigen jungen Mann, der ihm nun gegenübersaß. Kysumu saß schweigend da, das knapp meterlange Krummschwert auf dem Schoß. Die kohlschwarzen, schrägstehenden Augen erwiderten den Blick Matze Chais. Der Kaufmann hatte allmählich Gefallen an dem kleinen Schwertkämpfer gefunden, denn er sprach nur selten und strahlte Ruhe aus. Ihm war nie eine innere

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