Waylander der Graue
er, »dass ihr beiseite geht. Dieser Mann ist Kysumu, der gefürchtetste Rajnee in ganz Kiatze. Und ihr seid in diesem Augenblick nur noch einen Herzschlag von eurem Tod entfernt.«
Der große Anführer lachte. »Er ist vielleicht das, was du sagst, Mandelauge, aber für mich ist er nichts als ein weiterer speigrüner Zwerg, der reif ist zum Niedermachen.«
»Ich fürchte, du begehst einen Fehler«, sagte Matze Chai, »aber schließlich haben alle Taten ihre Folgen, und ein Mann muss den Mut haben, ihnen ins Gesicht zu sehen.« Er machte eine abrupte Verbeugung, die in Kiatze eine Beleidigung gewesen wäre, machte kehrt und ging langsam zu seiner Sänfte zurück. Er blickte über die Schulter und sah Kysumu, der sich vor den Anführer stellte.
Zwei Räuber lösten sich aus der Gruppe und stellten sich neben den bärtigen Mann. Nur einen Augenblick lang zweifelte Matze Chai an der Klugheit seines Handelns. Kysumu wirkte plötzlich winzig und harmlos gegen die rohe Gewalt des rundäugigen Räubers und seiner Männer.
Das Schwert des Anführers fuhr hoch, Kysumus Klinge zuckte durch die Luft.
Augenblicke später, als vier Männer tot waren und der Rest der Räuber Hals über Kopf davonrannte, wischte Kysumu sein Schwert sauber und kehrte zu der Sänfte zurück. Er war nicht außer Atem, sein Gesicht war nicht gerötet. Er sah wie immer ernst und gelassen aus. Matze Chais Herz klopfte wild, doch er bemühte sich um eine ausdruckslos Miene. Kysumu hatte sich mit fast übermenschlicher Schnelligkeit bewegt, war mit sausendem Schwert herumgewirbelt wie ein Tänzer inmitten der Räuber. Im gleichen Augenblick hatten seine sechs Leibwachen zu Pferd die zweite Gruppe angegriffen, und auch diese hatte ihr Heil in der Flucht gesucht. Alles in allem ein höchst befriedigendes Ende, das auch die Kosten für die Anstellung der Wachen rechtfertigte.
»Glaubst du, sie kommen zurück?«, fragte Matze Chai.
»Vielleicht«, meinte Kysumu mit einem Achselzucken. Dann wartete er schweigend auf Befehle.
Matze Chai rief einen Diener herbei und fragte Kysumu, ob er ihm bei einem Becher Wein Gesellschaft leisten wolle. Der Schwertkämpfer schüttelte den Kopf. Matze Chai nahm einen Becher. Eigentlich wollte er nur einen Schluck trinken, doch er leerte den halben Becher.
»Gute Arbeit, Rajnee«, sagte er.
»Wir sollten aufbrechen«, erwiderte Kysumu.
»Allerdings.«
Die Kabine seiner Sänfte kam Matze Chai vor wie eine Zufluchtsstätte, als er sich wieder in seinen Kissen niederließ. Er läutete die Glocke leicht als Signal für die Träger, sich in Bewegung zu setzen, und schloss die Augen. Plötzlich fühlte er sich sicher und geborgen und beinahe unsterblich. Er schlug die Augen auf und blickte aus dem Fenster. Die Abendsonne goss ihr blendendes Licht über die Berggipfel.
Er zog die Vorhänge zu, seine gute Laune verflog.
Eine Stunde später schlugen sie ihr Lager auf, und Matze Chai blieb in der Sänfte sitzen, während seine Diener seine Möbel für die Nacht von den Fuhrwerken abluden, sein goldlackiertes Bett zusammenbauten und die seidenen Laken und die dicke, daunengefüllte Decke darüber breiteten. Anschließend richteten sie die Pfosten und das Gestell seines blaugoldenen Seidenzeltes auf, breiteten die schwarze Leinenplane auf dem Boden aus und rollten dann seinen Lieblingsseidenteppich darüber. Zum Schluss kamen seine beiden Lieblingssessel, beide mit Gold eingelegt und dick mit Samt gepolstert, in den Zelteingang. Als Matze Chai endlich aus der Sänfte stieg, war das Lager beinahe fertig. Seine sechzehn Träger saßen zusammen um zwei Lagerfeuer in einem Ring aus Steinen. Zwei der sechs Leibwächter hatten die Wache übernommen und patrouillierten am Rand des Lagers, und sein Koch bereitete ein leichtes Abendessen aus gewürztem Reis und getrocknetem Fisch zu.
Matze Chai ging zu seinem Zelt und sank dankbar in einen Sessel. Er war es leid, wie ein Grenznomade zu leben, der Gnade der Elemente ausgeliefert, und sehnte sich nach dem Ende der Reise. Sechs Wochen dieses harten Lebens hatten ihn Kraft gekostet.
Kysumu saß mit verschränkten Beinen auf der Erde, ein Stück Pergament, auf Kork befestigt, auf den Knien. Mit einem angespitzten Stück Kohle skizzierte Kysumu einen Baum. Matze Chai beobachtete den kleinen Schwertkämpfer. Jeden Abend holte Kysumu seine Ledermappe aus dem Proviantwagen, nahm ein frisches Stück Pergament und zeichnete eine Stunde lang. Meist Bäume oder Pflanzen, wie Matze Chai bemerkt
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