Waylander der Graue
liebenswerter Junge. Norda war ein wenig erstaunt, als sie hörte, dass Beric in der Bibliothek des Nordturms auf sie wartete. Es war schon spät, und nach Nordas Erfahrung mochten kleine Jungen im Allgemeinen keine dunklen, kalten Orte.
Norda war die Wendeltreppe emporgestiegen und war überrascht, als sie vier dunkel gekleidete Schwertkämpfer in dem Bibliotheksraum unter dem Turm vorfand. Sie war stehen geblieben, plötzlich von Angst ergriffen. Solche Wesen wie diese waren seit Tagen Palastgespräch, mit ihren katzenhaften Augen und ihrer überheblichen Art.
Der erste verbeugte sich vor ihr und schenkte ihr ein scharfzähniges Lächeln. Er streckte den Arm aus und bedeutete ihr, die Treppe hinaufzugehen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Norda noch keine Ahnung, dass es sich um einen Traum handelte. Sie kletterte die Stufen zum Turm hinauf und fand Beric auf einer weißen Couch ausgestreckt. Er trug nur ein weißes, in der Taille gegürtetes Gewand. Das Turmzimmer war eisig, ein kalter Wind blies durch die offene Balkontür.
Norda schauderte. »Du musst doch frieren«, sagte sie zu dem Jungen.
»Ja, Norda«, sagte er sanft.
Sie verspürte den starken Drang, ihn zu umarmen, und ging durchs Zimmer, um sich neben ihn zu setzen. Er kuschelte sich an sie. Da merkte sie zum ersten Mal, dass sie träumte. Norda fühlte sich leicht benommen, als er näher rückte, und wurde überschwemmt von Gefühlen wie Liebe und Zufriedenheit. Es war wunderbar. Sie blickte in sein schönes Gesicht und sah, dass es an den Schläfen anschwoll, große blaue Adern pulsierten über die sich dehnende Haut über den Augen. Seine Augen wurden kleiner unter schweren Brauen, das Blau veränderte sich und wurde zu braun geflecktem Gold. Er schien zu lächeln, doch sie sah, dass sich in Wirklichkeit die Lippen über die Wangen zurückzogen, weil seine Zähne länger und dicker wurden und sich überlappten. Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem eigenen entfernt, und Norda runzelte die Stirn über seine Veränderung. Sie empfand noch immer große Liebe für den Jungen, obwohl er offensichtlich kein Junge mehr war. Norda bedauerte, dass sie ihr Abendmahl aus Käse und Brot mit einem Becher Rotwein heruntergespült hatte. Käse und Wein ließen sie immer träumen. Aber wie seltsam, dass Beric in ihrem Traum auftauchte. Normalerweise träumte Norda von stattlicheren Männern, Männern wie Yu Yu Liang und Emrin. Selbst der Graue Mann war in einigen ihrer erotischeren Träume vorgekommen.
»Jetzt bist du aber nicht mehr so hübsch, Beric«, sagte Norda und berührte die bleiche graue Haut seines Gesichts. Ihre Finger strichen über sein jetzt dunkles Haar. Es fühlte sich eher an wie Fell. Seine klauenbewehrte Hand glitt über ihre Schulter. Sie sah, dass die Haut seines Armes grau und schuppig war.
Irgendetwas berührte ihr Bein. Norda sah, dass es ein langer, schuppiger Schwanz war, aus dessen Ende eine Klaue zu wachsen schien. Sie lachte.
»Was amüsiert dich so, meine Liebe?«, fragte das Wesen.
»Dein Schwanz«, sagte sie. »Lange Schwänze.« Dann lachte sie wieder. »Emrin hat einen langen Schwanz. Yu Yus ist kürzer und dicker. Aber sie haben keine Krallen dran. Diesen Lentrischen Wein trinke ich jedenfalls nicht mehr, das ist sicher.«
»Nein, bestimmt nicht«, sagte das Wesen.
Der Schwanz glitt über ihren Bauch, die Kralle ritzte die Haut.
»Das tut weh«, sagte Norda erstaunt. »Ich habe noch nie in einem Traum Schmerzen gehabt.«
»Und du wirst es auch nie wieder haben«, sagte Deresh Karany. Die Kralle riss ihren Leib auf.
Eldicar Manushan stieg die Stufen empor und klopfte leise an die Tür. Als er eintrat, warf er nur einen Blick auf die formlose Hülle, die vor wenigen Augenblicken noch eine lebhafte, freundliche junge Frau gewesen war. Der vertrocknete Leichnam war achtlos in eine Ecke geworfen.
Deresh Karany stand an der Balkontür und blickte in die Nacht hinaus.
Eldicar fand die verschmolzene Gestalt abstoßend und er erkannte, dass Deresh die Bezauberung hatte fallen lassen. »Bist du erfrischt, Herr?«, fragte Eldicar. Deresh drehte sich langsam um. Seine Beine waren verdreht, die Knie rückwärts gewandt, die Füße auswärts gestellt.
»Etwas belebt, mein Freund. Nicht mehr. Ihre Essenz war sehr kräftig. Sie gab mir eine Vision. Panagyn und Aric sind tot. Der Graue Mann wird hierher kommen. Er will uns töten.«
»Und das Tor, Herr?«
»Die Riaj-nor versuchen es zu erreichen.« Deresh Karany ging Unbeholfen
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