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Waylander der Graue

Waylander der Graue

Titel: Waylander der Graue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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Riaj -nor-Kriegern, hockte sich hin und zog sein Schwert. Eine große Traurigkeit lastete auf ihm. Sie lag wie ein Felsblock auf seinem Herzen.
    Er dachte an seinen Lehrer Mu Cheng, »Das Auge des Sturms«, und an die langen Jahre seiner Ausbildung. Mu Cheng hatte mit großer Geduld versucht, Kysumu die Geheimnisse des Weges der Klinge zu zeigen, wie er die Kontrolle aufgeben und zu einer lebenden Waffe werden konnte. Das Schwert, hatte Mu Cheng gesagt, war keine Verlängerung des Mannes. Der Mann muss zu einer Verlängerung des Schwertes werden. Keine Gefühle, keine Angst, keine Erregung. Ruhig und in Harmonie tat der Rajnee seine Pflicht, gleich, was es ihn kostete. Kysumu hatte es versucht. Er hatte mit jeder Faser seines Seins versucht, den Weg zu meistern. Seine Kampfkunst war außergewöhnlich hervorragend gewesen, doch reichte sie nicht an die hohe Schule von Mu Cheng heran.
    »Es wird eines Tages kommen«, hatte Mu Cheng ihm gesagt. »Und an diesem Tag wirst du der vollkommene Rajnee sein.«
    Zwei Jahre später hatte Kysumu die Rolle des Leibwächters des Kaufmannes Lu Fang angenommen. Er entdeckte schon sehr bald, warum Lu Fang einen Rajnee -Leibwächter brauchte. Der Mann war amoralisch bis an die Grenze des Bösen. Seine Geschäfte umfassten Zwangsprostitution, Sklaverei und den Handel mit tödlichen Drogen. Nachdem er dies erfahren hatte, war Kysumu die Stufen zu Lu Fangs Wohnung emporgestiegen und hatte ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass er nicht mehr sein Leibwächter sein könne.
    Lu Fang beschimpfte ihn. »Du hast mir dein Versprechen gegeben, Rajnee«, sagte er. »Und jetzt willst du mich ohne Schutz zurücklassen?«
    »Ich bleibe bis morgen Mittag«, erklärte Kysumu. »Morgen Vormittag schickst du deine Diener aus, um einen anderen Beschützer zu finden. Dann gehe ich.«
    Lu Fang verfluchte ihn, doch die Flüche waren für den jungen Rajnee nichts als hohle Geräusche. Mit der Bewachung eines Mannes wie Lu Fang ließ sich keine Ehre erringen. Er ging aus der Wohnung auf den Balkon. Zwei maskierte Kapuzengestalten erklommen die Stufen. Kysumu sprang ihnen mit erhobenem Schwert entgegen. Beide Männer zögerten.
    »Geht«, sagte Kysumu, »wenn ihr am Leben bleiben wollt.«
    Die Männer sahen sich an. Beide trugen Dolche mit schmalen Klingen, keiner hatte ein Schwert. Sie wichen die Treppe hinunter zurück, Kysumu folgte ihnen. Als sie die letzte Stufe erreichten, machten sie kehrt und rannten davon.
    Eine andere Gestalt wurde sichtbar.
    Es war Mu Cheng.
    Als Kysumu jetzt über die Ebene von Eiden und die geisterhaften Ruinen der alten Stadt blickte, erinnerte er sich an seinen Schock über den Zustand seines früheren Lehrmeisters. Mu Chengs Augen waren rot gerändert, auf seinen Wangen zeigten sich Bartstoppeln. Sein Gewand war schmutzig, doch sein Schwert war sauber. Es schimmerte hell im Licht der Laternen.
    »Mach Platz, Schüler«, sagte Mu Cheng. »Der Schurke wird heute Abend sterben.«
    »Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm nicht länger dienen kann«, sagte Kysumu. »Ich verlasse ihn morgen Mittag.«
    »Ich habe versprochen, dass er heute Nacht sterben wird. Mach Platz.«
    »Ich kann nicht, Meister. Du weißt das. Bis morgen Mittag bin ich sein Rajnee.«
    »Dann kann ich dir nicht helfen«, sagte Mu Cheng.
    Der Angriff erfolgte unglaublich rasch. Kysumu wehrte ihn kaum ab. Die beiden Schwertkämpfer tauschten eine blitzschnelle Abfolge von Attacken aus. Kysumu wusste später nie genau, wann es passiert war, doch irgendwann während dieses Kampfes hatte er den Weg des Schwertes entdeckt. Er hatte die Kontrolle aufgegeben. Sein Schwert bewegte sich immer schneller und zeichnete verwirrende Lichtmuster in die Luft. Mu Cheng wurde zurückgedrängt, bis schließlich Kysumus Schwert in seine Brust drang. »Das Auge des Sturms« starb ohne ein Wort. Sein Schwert fiel auf den teppichbelegten Fußboden, wo es in tausend Stücke zersprang.
    Kysumu starrte in das tote Gesicht des Mannes nieder, den er geliebt hatte.
    Lu Fangs Stimme ertönte vom Balkon. »Sind sie tot? Sind sie weg?«
    »Sie sind weg«, sagte Kysumu und verließ das Haus.
    Zwei Tage später war Lu Fang auf einem Marktplatz erstochen worden.
    Jetzt schaute Kysumu zurück und fragte sich, warum er bloß hatte Rajnee werden wollen. Ringsum hörte er den rauen Gossenjargon der Riaj-nor. Was war ich doch für ein Idiot, dachte er. Alles, was man mich lehrte, beruhte auf Lügen. Ich habe mein Leben mit dem Versuch vergeudet, so groß zu sein

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