Waylander der Graue
durch den Palast wandern.« Er ging durchs Zimmer, nahm Yu Yus Kleider und warf sie aufs Bett. Yu Yu gelang es, seine Hosen anzuziehen, und Emrin half ihm in die Wolfsfellstiefel. Doch es war Yu Yu unmöglich, den verletzten linken Arm zu heben, um sein Hemd anzuziehen, also ging er mit bloßem Oberkörper, gestützt von Emrin, zur Tür.
»Du bist viel schwerer, als du aussiehst, Schlitzauge«, sagte Emrin.
»Und du bist nicht so stark, wie du aussiehst, Krummnase«, entgegnete Yu Yu.
Emrin kicherte und zog die Tür auf. Langsam gingen die beiden Männer den Flur entlang zur Treppe.
Nach ein paar Minuten materialisierte sich eine kleine, strahlende Lichtkugel vor der Tür zu Yu Yus Zimmer. Kalte Luft entströmte ihr. Eine Frostschicht bedeckte den Teppich. Die Kugel schwoll an und bildete einen weißen, eisigen Nebel, der wirbelte und wuchs, bis er vom Boden bis zur Decke reichte. Ein schlurfendes Geräusch kam aus dem Nebel, und zwei ungeheure Wesen traten heraus. Sie waren kalkweiß und haarlos. Eins senkte den Kopf und schlug mit seinem massigen Arm auf das Bett. Der Rahmen zersplitterte, als das Bett an die Wand krachte.
Das zweite Wesen senkte den Kopf, die kleinen roten Augen starrten boshaft den Flur entlang. Ein drittes Wesen glitt aus dem Nebel, eine geschuppte weiße Schlange mit lang gezogenem, flachem Kopf. Der Kopf schwenkte dicht über dem Teppich hin und her und schnüffelte durch vier schlitzförmige Nüstern die Luft ein. Dann begann sie über den Korridor zur Treppe zu gleiten.
Der Nebel waberte zurück über die anderen Wesen.
Und floss durch den Flur der Schlange hinterher.
Die Küche war etwa siebzehn Meter lang und sieben Meter breit und verfügte über mehrere große, steinummantelte eiserne Öfen. Die Nordwand säumten Regale, auf denen sich Teller, Tassen und Becher stapelten. Fünf große, herrlich gearbeitete Schränke mit Glastüren enthielten gravierte Kristallkelche und Geschirr. Unter den Regalen befand sich Schrankraum für Kochutensilien und Besteck. Es gab zwei Haupttüren, eine an der Ostwand, die zu den Treppen und zum Südturm führte, und eine zweite, die sich auf eine breite Wendeltreppe öffnete, von der man in den Ballsaal gelangte.
Die Küche hatte keine Fenster, und trotz einer Reihe verborgener Kamine, die den größten Teil der Ofenhitze ableiteten, konnte es in der Küche unerträglich heiß werden, wenn gewaltige Mengen an Essen zubereitet wurden und viel Personal herumhuschte.
Selbst jetzt, wo das Küchenpersonal im Bett war und nur zwei Laternen brannten, hielt sich noch immer ein Teil der Hitze, die bei der Vorbereitung des Abendessens vor zwei Stunden entstanden war. Keeva ging zu einer Schublade und holte ein Messer heraus, dann öffnete sie die Tür zur Vorratskammer und nahm einen runden, knusprigen Brotlaib, ein Stück Schinken mit Honigkruste und eine Schale mit Butter heraus und stellte alles auf den langen Tisch mit der Marmorplatte.
»Das ist ein Fleischmesser«, sagte Norda lachend. »Weißt du denn gar nichts, du Bauernmädchen?«
Keeva streckte ihr die Zunge heraus und fuhr fort, mühsam Scheiben von dem Brot zu säbeln. »Ein Messer ist ein Messer«, sagte sie. »Wenn es scharf ist, kann man damit auch Brot schneiden.«
Norda verdrehte die Augen in gespieltem Entsetzen. »Es gibt Fischmesser, Brotmesser, Fleischmesser, Tranchiermesser, Muschelmesser, Obstmesser, Käsemesser. Du musst sie auseinander halten lernen, wenn du jemals bei einem Bankett bei Tisch bedienen willst.«
Keeva beachtete sie nicht, sondern nahm den Deckel von der Butterdose und strich Butter auf ihr Brot.
»Ach, ja«, sagte Norda, »und es gibt Buttermesser.«
»Was für eine Vergeudung von Metall«, spottete Keeva.
Wieder lachte Norda. »Messer sind wie Männer: Jedes dient einem anderen Zweck. Manche sind gute Jäger, andere gute Liebhaber.«
»Schsch! Doch nicht vor dem Jungen!«
Norda lachte wieder. »Er schläft. Typisch Kinder. Erst wollen sie spielen, dann haben sie Hunger, und wenn du sie in die Küche gebracht und ihnen etwas zu essen gemacht hast, sind sie eingeschlafen, und du stehst da mit einem Berg von Broten.« Die beiden Frauen betrachteten einen Augenblick den kleinen blonden Jungen, der auf der Bank eingeschlafen war, den Kopf auf die Arme gelegt. »So süß«, flüsterte Norda. »Eines Tages wird er den Frauen den Kopf verdrehen. Das sieht man jetzt schon. Diese babyblauen Augen werden auch das härteste Herz zum Schmelzen bringen. Sie werden
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