Weatherly , L.A. - Dämonen des Lichts
hätte, hätte ich sie dann vielleicht aufhalten können? Denn jetzt stand ihr Entschluss fest, das hätte selbst ein Blinder erkennen können. Sie würde schnurstracks zu ihrem Engel rennen.
Aber was war dieses Ding überhaupt? Ich ließ mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen und versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Aber soweit ich feststellen konnte, war es genau das, wonach es sich angefühlt hatte: eine Art mächtiges Wesen, das Beth irgendwie auf einen Pfad ins Verderben gelockt hatte.
Aber das konnte doch nicht wahr sein … oder? Was hatte ich denn tatsächlich gesehen?
Ich sank zurück auf meinen Stuhl und starrte apathisch auf das Samtbild eines traurigen Clowns, das über der Anrichte hing. Er hielt eine Narzisse in der Hand, die den Kopf hängen ließ, und auf seiner gemalten Wange glänzte eine große Träne. Tante Jo hatte das Bild vor ein paar Jahren auf einem Garagenflohmarkt erstanden. »Was für ein Schnäppchen!«, hatte sie ausgerufen, als sie es voller Stolz an die Wand gehängt hatte. »Nur zwanzig Dollar!«
Zwanzig Dollar. Mein Blick wanderte zu dem Schein unter der Zuckerdose. Ich zog ihn hervor, betrachtete ihn, schob ihn dann vorsichtig zurück und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Sieh doch mal, Miranda, ist das nicht hübsch?«, fragte Tante Jo und zeigte auf den Fernseher.
Es war später am selben Tag nach dem Abendessen. Ich hatte gekocht, da ich Fertiggerichte verabscheue und für Tante Jo Essen, das nicht aus der Dose oder aus der Tüte kommt, kein Essen ist. Also hatte ich für uns drei einen großen Topf Spaghetti gemacht, denn das ist etwas, was ich kann, ohne groß nachzudenken. Außerdem hat Gemüseschnippeln und das Herumrühren in einer blubbernden Soße etwas zutiefst Beruhigendes und ich brauchte dringend ein wenig Beruhigung. Ich konnte nämlich einfach nicht aufhören, an Beth zu denken.
Tante Jo hatte sich während des Essens endlos über diese Frau in ihrem Büro ausgelassen, die sie nicht leiden kann. Wen wundert’s, eigentlich kann sie niemanden wirklich leiden. Ich hatte mit gesenktem Kopf Spaghetti auf meine Gabel gewickelt und in gewissen Abständen ein »Mmmh« von mir gegeben. Mom hatte sie einfach ignoriert – natürlich. Sie hatte dagesessen und verträumt in dem Essen auf ihrem Teller herumgestochert, von dem sie gelegentlich zerstreut einen Bissen in den Mund schob. Manchmal beneidete ich sie. Sie musste nicht einmal so tun, als hörte sie Tante Jo zu.
Danach saßen wir alle im Wohnzimmer zusammen und Tante Jo versuchte wild entschlossen, Mom dazu zu bewegen, mit ihr zu »interagieren«, wie der Therapeut es nannte. Im Klartext bedeutet das nur, Mom dazu zu bringen, einem für einen Moment ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Als wäre sie immer noch hier, in der normalen Welt, und nicht weit weg auf ihrem eigenen Planeten. Manchmal bin ich mir nicht sicher, warum sich überhaupt noch einer von uns die Mühe macht. Ganz ehrlich, ich glaube Mom ist da, wo sie ist, wahrscheinlich glücklicher.
»Miranda!«, sagte Tante Jo erneut, beugte sich zu Mom hinüber und tippte ihr energisch auf den Arm. »Hörst du mir überhaupt zu? Schau mal zum Fernseher. Ist dieser Südseestrand nicht hübsch?«
Sie sprach etwas lauter und langsamer als gewöhnlich, so als spräche sie mit einer Dreijährigen. Mom reagierte nicht. Sie saß in ihrem Lieblingssessel und starrte ins Leere. Wir beide sehen uns wohl ziemlich ähnlich. Sie hat das gleiche blonde gewellte Haar wie ich, außer dass ihres zu einem pflegeleichten Bob geschnitten ist. Und sie ist genauso klein wie ich, obwohl sie nicht mehr schlank ist. Nach all den Jahren, in denen sie nur in sich versunken herumgesessen hat, sieht sie blass und käsig aus und ist aufgegangen wie ein kleiner Hefekloß.
Sie ist aber trotzdem immer noch schön. Das wird sich auch nie ändern. Ich sah zu Moms großen grünen Augen hinüber, die meinen so sehr gleichen. »Wie zwei funkelnde Smaragde«, hat sie früher oft gesagt.
Denn sie war nicht immer so. Sie hat gesprochen – mit mir zumindest. Als ich klein war, haben wir zusammen gespielt und sie hat gelacht. Doch selbst damals benahm sie sich in der Gegenwart anderer Leute so seltsam und verschüchtert, dass ich mich bereits im Alter von fünf oder sechs Jahren als ihre Beschützerin fühlte. Ich wusste, dass ich mich in der Welt besser zurechtfand als sie. Und dann war da ja auch noch diese Wolke, die sich hin und wieder über sie legte und sie weit von mir
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