Weatherly , L.A. - Dämonen des Lichts
forttrug. Dann saß sie einfach nur da, so wie jetzt. Und kein noch so großes Geschrei oder Geheule brachte sie zu mir zurück, bevor sie nicht selber dazu bereit war. Ich musste lernen, mir meine eigenen Mahlzeiten zu kochen und mir selbst die Haare zu kämmen. Und ich war mir völlig darüber im Klaren, dass ich das nie im Leben jemandem erzählen durfte, denn sonst würde man sie mir vielleicht endgültig wegnehmen.
Aber irgendwann passierte das, wovor ich mich gefürchtet hatte, natürlich trotzdem. Meine Mutter zog sich immer tiefer in ihre Traumwelt zurück, bis sie zu guter Letzt nur noch selten den Rückweg fand.
»Miranda!«, drängte Tante Jo und rüttelte an ihrem Arm. »Wärst du nicht auch gerne an diesem Strand da?«
Mom seufzte und hielt den Blick weiterhin auf etwas gerichtet, das keiner von uns sehen konnte. »Hübsch«, murmelte sie. »So viele Farben … Regenbögen …«
»Da sind keine Regenbögen«, sagte Tante Jo streng. »Guck doch mal, Miranda. Guck doch! Ein Strand,«
Mom antwortete nicht. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln.
»Miranda –«
»Ich glaube, sie möchte gerade nicht mit dir interagieren, Tante Jo«, sagte ich müde. Ich gebe mir große Mühe mit Mom, wenn Tante Jo nicht dabei ist, aber ich tue es auf meine Weise, indem ich einfach nur mit ihr rede – und sie nicht behandle, als sei sie geistig behindert.
»Na ja, wir können sie schließlich nicht einfach sich selbst überlassen«, entgegnete Tante Jo beleidigt, während sie sich auf das Sofa zurücksinken ließ. Wir schwiegen beide und guckten uns das lausige Fernsehprogramm an. Auf dem Bildschirm bestellte gerade eine flotte Detektivin einen Mai Tai in einer Tropenkneipe. Ich drückte mir ein Kissen an die Brust und starrte auf die Bilder, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Ich wollte so gern glauben, dass Beth sich den Engel nur ausgedacht, dass sie einfach den ganzen Stress nicht mehr ausgehalten hatte oder etwas in der Art. Aber ich wusste genau, dass das nicht stimmte. Was auch immer das für ein Ding war, es war real und hatte möglicherweise bereits ihr ganzes Leben ruiniert. Ich musste etwas unternehmen, aber ich wusste ja noch nicht einmal, wo ich überhaupt anfangen sollte.
Es klingelte an der Tür. »Ich geh schon«, sagte ich und stand auf. »Das ist bestimmt Nina, die fragen will, ob ich Lust habe, noch wegzugehen oder so.« Nina vergaß andauernd ihr Telefon oder dachte nicht daran, ihr Guthaben rechtzeitig aufzuladen. Irgendwie hoffte ich aber, dass sie es nicht war, denn ich fühlte mich ihrer speziellen Art von Zynismus gerade nicht gewachsen.
Tante Jo warf einen verstohlenen Blick zu Mom hinüber und schaltete dann auf den Shopping-Kanal um – was sonst! Sie nickte und lehnte sich in die Kissen zurück, ohne die Augen vom Bildschirm zu lösen. »Wenn du noch mal losgehst, bring Milch mit«, sagte sie.
Aber es war nicht Nina, das erkannte ich sofort an der Größe der Silhouette, die sich durch die Milchglasscheiben der Haustür abzeichnete. Wer auch immer da draußen stand, er war groß, über eins achtzig, und hatte breite Schultern.
Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit. »Ja?«
Der Mann auf der Veranda hatte hellbraune Haare und ein markantes, attraktives Gesicht. Er war Mitte zwanzig, vielleicht auch ein klein wenig älter – das war irgendwie schwer zu sagen. »Hi«, erwiderte er und legte den Kopf schief, um zu mir hereinzusehen. »Du bist bestimmt Willow Fields, hab ich recht? Ich habe gehört, dass du wahrsagen kannst.«
Mein Puls begann zu flattern und dann gefror mir das Blut in den Adern: Dies war der Mann, den ich in Beths Gedanken gesehen hatte. Oh mein Gott, das war ihr Engel und er war hier! Ich hätte am liebsten auf der Stelle die Tür wieder zugeschlagen, doch ich war wie gelähmt. Die Intensität seines Blickes fesselte mich derart, dass ich das Gefühl hatte, in einem tiefen Schacht zu sitzen, aus dem es kein Entrinnen gab.
»Ich … ahm, nur manchmal«, stammelte ich.
»Verstehe. Könntest du mir die Zukunft vorhersagen?«
Einen kurzen Augenblick überlegte ich wild, ob ich verrückt wurde. Vielleicht war er ja wirklich nur ein harmloser Klient -es kam öfter vor, dass jemand, der von mir gehört hatte, unangemeldet bei uns auf der Matte stand. Aber bei dem Gedanken, ihn zu berühren, wurde mir ganz schlecht. Meine Stimme klang hoch und panisch.
»Nein, ich … ich glaube nicht. Ich bin gerade ziemlich beschäftigt.«
Ich riss mich von seinen
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