Weatherly , L.A. - Dämonen des Lichts
und zog mit dem Finger ein Muster auf der Spitzentischdecke nach. Schließlich holte sie tief Luft und sah mir direkt in die Augen. »Ich überlege, die Schule abzubrechen und in die Church of Angels einzutreten.«
Ich riss den Mund auf und klappte ihn dann langsam wieder zu. Mir fehlten die Worte. Die Church of Angels war diese riesige neue Religionsgemeinschaft, die im Lauf der letzten Jahre praktisch aus dem Nichts entstanden war. Eigentlich war es eher ein Kult. Andauernd sah ich ihre Werbespots im Fernsehen: haufenweise Leute, die nicht nur glückselig von der reinen Liebe der Engel quasselten, sondern auch ihre Probleme und Nöte vor der Kamera ausbreiteten. Und immer hatten die Engel Rat gewusst. Das Problem, bei dem sie nicht helfen konnten, musste anscheinend erst noch erfunden werden.
»Ja, ja, und im Ersparnisse abluchsen sind sie auch unschlagbar«, sagte Tante Jo dann jedes Mal spitz.
Beth redete immer noch. »Jetzt, wo ich weiß, dass es wirklich Engel gibt, möchte ich mit Menschen zusammen sein, die wissen, was ich weiß. Menschen, die ebenfalls Engel gesehen haben, die mich verstehen. Und mein Engel hat mir gesagt, wenn ich beitrete, dann können wir wirklich zusammen sein. Aber meine Eltern …« Sie verstummte. In ihren Augen glänzten Tränen und sie kramte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. »Ich habe ja versucht, mit ihnen darüber zu reden. Also über einen Kircheneintritt, meine ich. Es war schrecklich. Sie haben gesagt, ich würde mein Leben wegwerfen und alle Möglichkeiten, die sich mir bieten. Und wenn ich tatsächlich so undankbar sein sollte, dann würden sie keinen Finger rühren, um mich aufzuhalten.« Sie unterdrückte ein Schluchzen, tupfte sich mit dem Taschentuch die Tränen weg und schüttelte den Kopf. »Ich weiß doch auch nicht. Wenn ich nicht bei meinem Engel bin, fühlt sich alles so … unwirklich an. Aber gleichzeitig ist nichts in meinem Leben realer. Das kann ich doch nicht einfach ignorieren.«
Sie hob den Kopf und sah mich flehentlich an. »Willow, kannst du mir nicht sagen, was ich tun soll?«
Zu sagen, dass ich sprachlos war, ist noch untertrieben. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so bestürzt gewesen. »Mal sehen, was ich herausfinden kann«, brachte ich endlich hervor.
Ich schloss die Augen, verdrängte alle Gedanken, die mir durch den Kopf schwirrten, und tauchte auf der Suche nach Beths Zukunftsaussichten tief in mein Inneres hinab. Sie wuchsen vor meinem inneren Auge in die Höhe wie ein Baum: Jede Entscheidung, die sie treffen konnte, war wie ein Ast, der sich gabelte und immer weiter verzweigte. Ich blinzelte verwirrt. Bei den meisten Menschen leuchtet dieses Bild ihres zukünftigen Lebens golden und hell, doch das von Beth war glanzlos und stumpf. Schlimmer noch, ihr Lebensbaum besaß nur zwei Hauptäste: ein Paar verdrehter, dürrer Zweige, die in einer verkrüppelten V-Form aus dem Stamm herauswuchsen.
Ich schauderte. Wie konnte das sein? Beths Zukunft hielt ganze zwei Möglichkeiten bereit … und keine davon sah besonders rosig aus. Ich spürte, wie sich mir das Herz zusammenzog, als ich mich daranmachte, den ersten Zweig zu erkunden. Oh mein Gott, arme Beth. Ich betete, dass der zweite Ast vielversprechender sein würde, und wandte ihm meine Aufmerksamkeit zu. Urplötzlich überfiel mich eine eigenartige Kälte. Bilder zogen vorbei, doch sie waren verworren. Sämtliche Einzelheiten versanken einfach in einer Wolke aus Grau, als ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren. Trotzdem stockte mir der Atem angesichts der durch Mark und Bein dringenden Eiseskälte dieser Zukunft. Was auch immer diese Wolke zu bedeuten hatte, sie hatte etwas so unwiderruflich Endgültiges an sich wie ein Grabstein im Nebel.
Ich riss die Augen auf. »Beth, hör mir zu. Der Engel ist nicht gut für dich«, sagte ich eindringlich. Meine Worte überschlugen sich förmlich. »Er schadet dir. Am besten gehst du nie wieder zu diesem Bach zurück. Er könnte dich zwar immer noch aufspüren, aber es besteht die Möglichkeit, dass er dich freigibt, und dann könntest du –«
Beth keuchte auf und entriss mir ihre Hand. »Nein!«, schrie sie. »Du hast das völlig falsch verstanden!«
»Hör mir doch mal zu! Ich kann einen Weg sehen, da nimmst du meinen Rat an. Du versuchst, die Sache mit dem Engel zu vergessen, und entscheidest dich für die Schule und das College. Du … na ja, es ist kein schlechtes Leben …« Ich geriet ins Stocken. »Du machst einen
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