Weber, David - Honor Harrington - Sturm der Schatten
die Auswirkungen des Flottenabbaus voll abzubekommen, und war erheblich länger Ensign gewesen als Fonzarelli. Andererseits hatte sie wesentlich weniger Zeit als Lieutenant Junior-Grade verbracht, da unter den Anforderungen des neuen Krieges Offiziere noch dringender gebraucht wurden als im letzten. Doch selbst wenn man all dies berücksichtigte, ließ sich nicht bestreiten, dass Abigail Hearns’ Karriere bisher mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit verlaufen war.
Fonzarelli stellte seinen Bierkrug wieder ab. »Lassen Sie mich Ihre Frage einmal umdrehen, Wanda«, sagte er. »Nehmen wir jemanden, der auf der Kadettenfahrt zwo Trupps Marines auf einem fremden Planeten führt, ohne weitere Unterstützung mehr als einen Tag lang Verstecken mit über fünfhundert Piraten spielt und davon fast zwohundert tötet, selber aber nur zehn Marines verliert, und dann als diensttuender Taktischer Offizier eines zusammengewürfelten Geschwaders, das bereits zu Schrott zusammengeschossen wurde, drei solarische Schlachtkreuzer ausschaltet – glauben Sie etwa, so jemand wäre nicht befördert worden, wenn er einen Kanalarbeiter zum Vater hätte?«
O’Reillys Nasenflügel blähten sich, aber sie antwortete nichts, und Fonzarelli schüttelte den Kopf.
»Um ein Haar hätten Sie den Vorwurf erhoben, dass Commodore Terekhov und Captain Kaplan Günstlingswirtschaft betreiben«, sagte er. »Beim nächsten Mal überlegen Sie sich solche Äußerungen vielleicht etwas besser. Und lassen Sie sich mal durch den Kopf gehen, gegenüber wem Sie Ihre Meinung hinausposaunen. Ich kenne den Skipper nicht – noch nicht. Hatte keine Zeit, sie kennenzulernen – genauso wenig wie Sie. Aber was ich von ihr gesehen habe, und was ich von Commodore Terekhov gesehen – und gehört – habe, klingt mir nicht danach, als ließen sie sich in ihrem Urteil von Günstlingswirtschaft beeinflussen. Aber mir kommt es vor, als würde jeder, der so etwas andeutet, sich sehr bald sehr wünschen wird, die Klappe gehalten zu haben, sollte es ihnen zu Ohre n kommen. Ich gestehe Ihnen zu, dass es Hearns’ Chancen auf Beförderung und den Flaggoffiziersrang nicht geschadet haben wird, dass sie die Tochter eines Staatsoberhaupts ist. Und die Herzogin von Harrington auf ihrer Seite zu haben ist auch nichts Schlechtes. Der Salamander ist aber wirklich nicht dafür bekannt, sich das Urteilsvermögen durch Günstlingswirtschaft trüben zu lassen. So viel weiß ich, auch wenn ich – noch – nicht sicher sein kann, wie es beim Skipper und beim Commodore aussieht.«
»Vielleicht nicht«, sagte O’Reilly. »Und Sie haben schon recht, Harrington steht in dem Ruf, keine Favoriten zu haben. Trotzdem sage ich, dass Hearns nicht dort wäre, wo sie heute ist, wenn sie mit Nachnamen Smith hieße.«
»Oder vielleicht O’Reilly?«, fragte Fonzarelli leise.
»Vielleicht.« O’Reillys Augen funkelten unnachgiebig. »Und ich bin nicht die Einzige hier, die so denkt.«
»Nun, dann gestatten Sie mir, Ihnen vorzuschlagen, dass Sie lieber diesen anderen das Herziehen über Hearns überlassen.« Fonzarelli musterte sie von Kopf bis Fuß und schüttelte den Kopf. »Das Letzte, was ein Schiff braucht, ist ein Offizier, der die Autorität eines anderen Offiziers untergräbt. Ich glaube, wenn Sie es nachlesen, dann werden Sie feststellen, dass das Reglement dazu einiges zu sagen hat. Außerdem glaube ich, dass der Eins-O Ihnen in dem Fall, dass Sie damit nicht aufhören, derart in den Hintern treten wird, dass Sie den Geschmack nach Leder im Mund noch eine Woche später nicht los sind.«
O’Reilly kniff die Augen zusammen, und Fonzarelli schüttelte wieder den Kopf.
»Ich habe nicht die geringste Absicht, deswegen zu Commander Tallman zu gehen, Wanda. Ich rechne auch nicht damit, dass Hearns es tun wird, wenn sie irgendwann davon erfährt, was geredet wird. Aber erfahren wird sie es, wenn Sie so weitermachen, das wissen wir beide genau. Ich meine, das ist doch ein Grund, weshalb Sie mit mir sprechen, statt sich gleich an sie zu wenden, richtig? Weil Sie sicher sein wollen, dass die Kampagne hübsch in Gang kommt?«
Er verzog leicht die Lippen, und O’Reilly biss wütend die Zähne zusammen. Fonzarelli schien ihre Reaktion nicht zu bemerken – oder sie nicht zu beachten, weil er es doch sah –, und fuhr ruhig fort:
»Ich würde sagen, Hearns ist ein Mensch, der seine Kämpfe selbst austrägt, und ich glaube nicht, dass sie zu Commander Tallman läuft, damit der große, böse
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