Weber, David - Honor Harrington - Sturm der Schatten
dass Sie die Angelegenheit fest im Griff haben.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Commodore unserer Captain Kaplan etwas Besseres anzubieten hat«, sagte Helen Zilwicki mit einem schiefen Lächeln, als sie Abigail Hearns die kalte Bierflasche reichte.
»Etwas Teureres auf jeden Fall«, stimmte Abigail zu. Sie nahm das Bier und trank es, ohne auf den Krug zu achten, der auf dem Tisch stand, direkt aus der Flasche.
»Na, wenn Ihre Familie Sie so sehen könnte!« Helen schüttelte den Kopf und grinste breit.
»Meine Familie würde Sie vielleicht überraschen«, erwiderte Abigail und stellte mit einem zufriedenen Seufzer die Flasche ab. »Offizielle Anlässe sind eine Sache, aber Daddy hat schon immer lieber Bier als Wein getrunken. Manchmal glaube ich sogar, wirklich auf die Seite der Reformer hat ihn Lady Harrington gezogen, als sie Old Tilman nach Grayson brachte.«
Helen lachte. »Wirklich? Das passt überhaupt nicht zu dem Bild, das die meisten Manticoraner von den Gutsherren haben.«
»Ich weiß.« Abigail verzog das Gesicht. »Mich erstaunt immer wieder, wie viele Leute glauben, dass alle Graysons die ganze Zeit stur, verklemmt und furchtbar mürrisch sind.« Sie schnaubte. »Ich glaube, mit dem ›verklemmt‹ bin ich zumindest hier und da einverstanden, aber der Rest …!«
»Ich glaube, das liegt nicht zuletzt daran, wie Ihre Waffenträger ständig nicht nur Ihre Haut, sondern auch Ihr Image schützen«, sagte Helen.
»Da könnten Sie natürlich recht haben.«
Abigail neigte sich mit dem Stuhl in Helens winziger Offizierskammer nach hinten. Der Raum war so klein, dass ihre Mutter, die zufällig auch Helen hieß, ihn als »zu klein, um eine Katze drin rumzuwirbeln«, beschrieben hätte, aber angesichts der Tatsache, dass er sich an Bord eines Kampfschiffs befand und nur einem kleinen Ensign gehörte, wirkte er geradezu ausladend.
»Ja, wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte sie wieder und dachte an ihren persönlichen Waffenträger Mateo Gutierrez. Gutierrez war nicht einmal gebürtiger Grayson, und doch schien er den wachhundhaften Beschützerinstinkt, der alle persönlichen Waffenträger prägte, durch die Poren eingesogen zu haben. Zum Glück verlieh ihm seine Ausbildung als Royal Manticoran Marine die Fähigkeit, bemerkenswert gut einschätzen zu können, wie viel »Schutz« ein einfacher Lieutenant an Bord eines Sternenschiffs Ihrer Majestät überleben konnte. Diese Fähigkeit hätte, wenn sie es recht bedachte, einem auf Grayson geborenen Waffenträger höchstwahrscheinlich gefehlt.
Tja, vielleicht hat sich Daddy mit Mateo mehr gedacht, als ich je begriffen habe, überlegte sie.
»Ich bin froh, dass Sie den Commander begleiten konnten«, sagte Helen plötzlich, und Abigails mentale Antennen stellten sich auf. In Helens Stimme klang etwas mit, fast ein Zögern, wie Abigail es von der unverfrorenen Ensign Zilwicki so gar nicht kannte.
»Nun, ich habe heute Abend keinen Dienst«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob ich für mich allein Pinassenzeit bekommen hätte, aber da der Skipper ohnehin hierher unterwegs war …«
Sie zuckte die Achseln, und Helen nickte.
»So ungefähr hatte ich es mir auch vorgestellt, als ich Sie einlud«, räumte sie ein, lehnte ihrerseits ihren Stuhl zurück und legte die Beine auf ihre ordentlich gemachte Koje.
»Warum haben Sie mich denn eingeladen?« Im falschen Ton gestellt hätte sie mit dieser Frage auf jede erdenkliche Art anecken können. Doch wie Abigail sie aussprach, wirkte sie eigentümlich … mitfühlend.
»Ich glaube, ich fühle mich einfach nur ein bisschen … einsam«, antwortete Helen und sah einen Augenblick lang weg. Dann wandte sie sich Abigail wieder zu. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Die meisten Offiziere der Jimmy Boy sind völlig in Ordnung, und niemand scheint mir zu verübeln, dass ich als armseliger kleiner Ensign schon Flaggleutnant bin. Aber irgendwie ist es trotzdem schwer, Abigail. Ich bin nicht sonderlich ranghöher als Captain Carlsons Midshipwomen, aber als Adjutantin des Commodores kann ich mich mit ihnen nicht mehr abgeben. An Bord des ganzen Schiffes gibt es keinen Offizier, der nicht haushoch ranghöher ist als ich. Es gibt niemanden, mit dem ich mich zusammensetzen und mal durchsprechen könnte, was ich für den Commodore tue. Das habe ich vorher überhaupt nicht bedacht.«
»Ich auch nicht«, sagte Abigail, nachdem sie kurz nachgedacht hatte. Sie erwog hinzuzufügen, dass ihr nie in den Sinn gekommen wäre,
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