Weber David - Schwerter des Zorns - 2
noch immer nicht
so ganz verstanden hatte, wie tief die Blutrunst in die Seelen der
Hradani schnitt. Selbst unter dem fortschrittlichen Kriegervolk von
Hurgrum konnte sich eine Frau nicht zur Prinzessin krönen lassen.
Denn aufgrund langer Tradition mussten die Herrscher der Hradani
damit rechnen, sich einer Herausforderung zum Duell persönlich
stellen zu müssen. Das bedeutete nicht, dass Frauen keine einfluss
reichen Ämter innehaben konnten. Die meisten Richter und Diplo
maten der Hradani waren Frauen. Aus dem ganz einfachen Grund,
weil sie ihre Immunität gegen die Blutrunst davor schützte, ihre Ur
teile von diesem Fluch beeinflussen zu lassen.
Dennoch war Hurgrum ungewöhnlich, denn die Hälfte der Mit
glieder des Rates, über den der Prinz verfügte, bestand aus Frauen.
Die meisten Hradani bedienten sich zwar wenigstens einer oder
zwei Frauen in ihrem Rat, und jeder Clan-Patriarch hörte, im Unter
schied zu den meisten Prinzen, mit großem Respekt auf den Rat der
Matriarchin seines Clans. Bahnaks Entscheidung, zehn Frauen unter
seinen einundzwanzig persönlichen Beratern zu rekrutieren, war je
doch eine unerhörte Neuerung, und gleichzeitig eine, die sich sehr
wirksam auszahlte. Marglyth war nicht nur seine Oberste Richterin,
sondern auch seine Oberste Ratgeberin, und Bahnak verließ sich auf
ihren politischen Rat beinahe ebenso sehr wie auf den ihrer Mutter.
So wie er auf Barodahns Empfehlungen in militärischen Angelegen
heiten zurückgriff. Eine von Bahnaks größten Stärken war sein aus
geprägtes Selbstbewusstsein. Deshalb konnte er auch den Rat ande
rer annehmen. Seine Kinder hatte er ebenso selbstbewusst herange
zogen und sie gelehrt, selbstständig zu denken.
Jetzt war Marglyth dabei, weil sie zusätzlich zu den Pflichten als
Oberste Richterin und Ratgeberin auch den Spionagedienst von
Hurgrum leitete. Aus diesem Grund wusste sie vermutlich ebenso
viel von den Vorgängen an Churnazhs Hof wie Brandark.
In dem riesigen Kartenraum, in dem sie sich eingefunden hatten,
konferierten gewöhnlich Bahnak und seine obersten Befehlshaber
und schmiedeten ihre Strategien. Das bedeutete: Er war auf das Kör
permaß der Pferdediebe zugeschnitten und so geräumig, dass sich
eine große Zahl von ihnen dort bequem aufhalten konnte. Trotzdem
war er fast überfüllt. Was jedoch die Anwesenden kaum störte. Es
war das erste Mal, dass sich alle Freiwilligen für Bahzells Operation
an einem Ort versammelt hatten, und aus Sicherheitsgründen hatte
er sich geweigert, irgendjemanden vorab einzuweisen und gewartet,
bis alle zusammenkamen. Er hegte nicht etwa ein besonderes Miss
trauen einem Mitglied des Hofstaates seines Vaters gegenüber, aber
Sharnâ war ebenso der Schutzheilige der Meuchelmörder und Dä
monen, wie auch der Gott des Verrats. Und die Fähigkeit seiner
Handlanger, Geheimnisse auszuspionieren, war berüchtigt. Jetzt
aber hatten sich alle Freiwilligen versammelt und beobachteten auf
merksam, wie Brandark mit der Spitze seines Dolches auf die Land
karte tippte.
»Hier.« Er beschrieb mit dem Dolch ein grobes Dreieck auf einer
Stelle über dicht bewaldeten Hügeln südwestlich von Navahk. »In
diesem Gebiet, unmittelbar an der Grenze von Arthnar. Ich war
zwar selbst nie dort, aber den Gerüchten zufolge ist Harnak dort mit
Vorliebe ›auf die Jagd‹ gegangen.«
»Auf die Jagd, hm?« knurrte Gharnal. Er warf einen Blick auf die
Landkarte und schaute Bahzell an. »Ich kann gar nicht sagen, wie
sehr mich Gerüchte über Jagdausflüge mit Zuversicht erfüllen, Bah
zell.«
»Kannst du nicht, hm?« Bahzell lehnte sich zurück, stützte seine
verschränkten Unterarme auf den Tisch vor sich und sah Gharnal
nachdenklich an. Gharnal Uthmâgson war Marglyths und sein Ad
optivbruder. Die drei verband seit ihrer frühesten Kindheit eine
enge Freundschaft. Im Unterschied zu Hurthang, der ein Cousin
vierten Grades war, war Gharnal so wenig blutverwandt mit Bah
zell, wie es innerhalb desselben Clans möglich war, aber Bahnak
hatte ihn wie seinen eigenen Sohn aufgezogen, nachdem Gharnals
Vater in einem Grenzscharmützel mit Soldaten aus Navahk gefallen
war. Er war mit seinen knapp zwei Metern für einen Pferdedieb
recht klein, doch die mangelnde Größe glichen seine gewaltige
Brust, seine breiten Schultern und die muskulösen Arme aus. Im
letzten Feldzug Hurgrums gegen die Blutklingen hatte er sich ehren
voll ausgezeichnet. Bedauerlicherweise war der Grund für seine
Heldentaten sein blinder Hass auf Blutklingen im
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