Weber David - Schwerter des Zorns - 2
Bahzell musterte den alten Mann nach
denklich, doch Wencits Grinsen verstärkte sich nur, also ließ der
Hradani das Thema fallen. Wencit von Rûm war seine eigene In
stanz, und Bahzell glaubte genauso wenig, dass er »zufällig« in Beil
hain war, wie er annahm, dass die Sonne morgen früh im Westen
aufgehen würde. Zudem hatte er in der kurzen Zeit, in der er und
Brandark gemeinsam mit dem alten Mann Lady Zarantha gerettet
hatten, bereits hinlänglich festgestellt, dass ihm Wencit nur das er
zählte, was er wollte. Eigentlich hätte das Bahzell wütend machen
sollen, vor allem angesichts der tief verwurzelten Überzeugung der
Hradani, dass nur ein toter Hexer ein guter Hexer war, sowie wegen
Bahzells Ungeduld.
Irgendwie aber tat es das nicht. Vermutlich lag dies daran, dass er
von allen Menschen allein Wencit das Recht auf Geheimniskrämerei
zugestand. Nur vier Weiße Zauberer hatten den Fall von Kontovar
überlebt. Einer war verrückt geworden, und zwei waren bei dem
verzweifelten, selbstaufopfernden Gegenschlag des Weißen Konzils
gegen die Lords von Carnadosa zugrunde gegangen. Nur Wencit
hatte überlebt und seine Macht eingesetzt, um den Exodus der letz
ten, kleineren Welle der Überlebenden des Untergangs nach Nor
fressa zu beschützen. Vermutlich war es ihm zu verdanken gewe
sen, dass überhaupt noch jemand hatte fliehen können. In Anbe
tracht all dieser Umstände war Bahzell bereit, dem Zornigen Zaube
rer einige Marotten zuzugestehen.
»Also gut«, sagte der Pferdedieb betont geduldig. »Ihr wisst ver
mutlich, wie weit wir noch von dieser verwünschten Stadt entfernt
sind. Wenn es Euch keine übermäßige Mühe macht, wäre es sehr
freundlich, wenn Ihr aufhören würdet, selbstzufrieden auf Eurem
Hintern herumzuhocken, und es stattdessen uns Unwissenden ver
rietet. Sozusagen, natürlich.«
»Oh, selbstverständlich, sozusagen.« Wencit lachte und wendete
sein Ross in die Richtung, aus der er gekommen war. »Wenn ihr mir
bitte folgen würdet«, lud er sie huldvoll ein. »Und versucht, nicht
vom Weg abzukommen.«
Sie waren kaum eine halbe Meile vom Westtor der Stadt entfernt ge
wesen, als Wencit sie gefunden hatte. Bahzell konnte sich nicht ent
scheiden, ob er dankbar sein sollte, weil sie nur noch eine so kurze
Strecke vor sich gehabt hatten, oder empört, weil er bereit gewesen
war, eine elende, eisige Nacht so kurz vor dem Schutz zu verbrin
gen, den er noch nicht hatte erkennen können. Er entschied sich für
die Dankbarkeit, legte den Kopf in den Nacken und starrte zu den
Zinnen von Beilhain hinauf, als sie sich der Stadt näherten.
Seit ihrer Gründung hatte sich die Hauptstadt des Reiches der Axt
hauptsächlich nach Süden und Osten ausgedehnt, wo sich reichlich
Platz für die Häuser und Geschäfte der Händler befand, die dort
den Kormak und sein Kanalsystem nutzen konnten. Die Herr
scherdynastien, die Beilhain nach und nach zur größten Stadt Nor
fressas gemacht hatten, bestanden allesamt darauf, dass die Befesti
gungen jede Erweiterung der Stadtgrenzen einfassen mussten, ganz
gleich, wie kostspielig das auch sein mochte. So hatten die Bastionen
allmählich die ursprünglichen Stadttore ersetzt. Nur das Westtor
war als echtes Stadttor übrig geblieben und trotz seines Alters noch
vollkommen einsatzfähig. Die äußere Stadtmauer war so hoch, dass
ihre Zinnen im Schneetreiben verschwanden. Massive, sechseckige
Türme flankierten das Tor selbst. Unter den üblichen Wetterbedin
gungen hätten die groben, dunklen Steine gewiss abweisend und
bedrohlich gewirkt, doch in dem warmen, gelben Licht, das aus dem
riesigen Schlund des Tores und den Schießscharten der Türme fiel,
wirkte alles eher wie eine einladende Oase. Bahzell hörte, wie Vaij
ons Pferd erleichtert schnaubte, als sie sich dem Tor näherten.
Es war trotz des Schneesturms in voller Stärke besetzt, und der
Pferdedieb musterte die Wachen sehr sorgfältig. Sie wirkten zwar
recht verfroren, betrachteten die Neuankömmlinge aber genau. Ob
wohl niemand sie anhielt, vermutlich weil Wencit bei ihnen war, der
einem Offizier zunickte, als sie vorüber ritten, kannten die Wachen
ganz offensichtlich ihre Pflicht. Das sollten sie auch, denn sie gehör
ten zu den Truppen der Königlich-Kaiserlichen Armee. Es waren
keine einfachen Stadtwachen.
Die Wachposten betrachteten Bahzell und Brandark neugierig,
und der Pferdedieb fragte sich, was diese Axtmänner wohl über sie
dachten. Die Grenzen des Reiches stießen nirgendwo direkt an Ha
radani-Länder,
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