Weber David - Schwerter des Zorns - 2
sie waren. Nicht einmal
Herr Yorhus, der diese Reise mehrfach hinter sich gebracht hatte,
konnte sich noch orientieren. Die Meilensteine lagen schon lange un
ter den Schneemassen begraben. Bahzell knurrte. Möglicherweise
befanden sie sich nur hundert Meter vor den Stadtmauern, vielleicht
aber auch nicht. Er musste bald eine Entscheidung treffen. Sie konn
ten nicht immer weiter stolpern und hoffen, dass die Hauptstadt un
mittelbar vor ihnen lag. Früher oder später würde ein Pferd den
Halt verlieren und stürzen, oder der Frost würde die ersten Glied
maßen kosten. Sollte Beilhain allerdings nahe sein, versprach es si
chere Wände, Dächer über dem Kopf und wärmende Feuer.
Er wollte gerade aufgeben und seinen Gefährten den Befehl geben,
ein Lager aufzuschlagen, als er merkte, dass sich jemand – oder et
was – näherte. Er spürte es mehr, als er es sah. Es war ein dunklerer
Fleck in der sturmgepeitschten Dunkelheit, und er hob die Hand vor
die gerunzelte Stirn, um besser sehen zu können. Zunächst brachte
das nicht viel, doch dann versteifte er sich, als ein einzelner Reiter
aus dem Schneesturm geradewegs auf ihn zutrabte.
»Sieh an, sieh an! Da bist du ja!«
Die unbekümmerte Stimme des weißbärtigen Reiters hätte in dem
Heulen des Sturms untergehen müssen, doch sie drang erstaunlich
deutlich an Bahzells Ohren. Der Wert des Kriegsrosses der Sothôii,
auf dem der Mann saß, entsprach dem Lösegeld für einen Prinzen,
doch sonst verriet nichts an ihm Wohlstand oder Rang. Wie Bahzell
trug auch er einen schlichten Poncho im Sothôii-Stil über ebenfalls
einfachen, warmen Wollhosen und einem Lederkoller. Die Scheide
seines Langschwertes steckte in einer schmucklosen Lederhülle. Er
schob die Kapuze seines Ponchos mit den Fäustlingen zurück. Dar
unter kam eine rot-weiß gestreifte, gestrickte Wollmütze zum Vor
schein, die mitten in diesem Schneegestöber merkwürdig unpassend
wirkte, und er grinste. Bahzell stemmte die Fäuste in die Hüften und
sah ihn finster an.
»Allmählich geht mir das Wetter auf die Nerven, das Ihr mit Euch
herumschleppt, Zauberer«, grollte er.
»Damit habe ich nichts zu tun«, erwiderte der Reiter tugendsam,
beugte sich dann aus dem Sattel und umklammerte Bahzells Unter
arm im Kriegergruß.
»Ha!« Bahzell betrachtete den Mann mit offenkundiger Skepsis.
Der Alte erwiderte den Blick unschuldig, allerdings konnte man in
seinen Augen nicht lesen, ob das nur gespielt war. Seit mehr als ei
nem Jahrtausend hatte niemand mehr Wencit von Rûms Augen ge
sehen. Das glühende Irrlicht, das an ihrer Stelle tobte, seit ihn der
Zornige Zauber gepackt hatte, tanzte und flackerte unter seinen bu
schigen Brauen, und er lachte leise.
»Mein Wort darauf, Bahzell«, sagte er. »Nicht mal ein wirklich
Zorniger Zauberer spielt mit dem Wetter herum. Außerdem, wenn
ich schon in das Klima eingreifen würde, fielen mir sicher angeneh
mere Bedingungen ein als Schnee und Eis.«
»Davon gehe ich aus«, erwiderte Bahzell knurrig und wandte sich
um, als Brandark sein Pferd neben ihn trieb. »Sieh mal, was der
Wind uns da mal wieder angeweht hat«, erklärte er säuerlich.
»Du hast wirklich ein besonderes Talent, über alte und mächtige
Meister der uralten Kunde zu reden«, tadelte ihn Brandark ernst
und reichte dann dem Zauberer die Hand. »Seid gegrüßt, Ihr alter
Pferdedieb!« meinte er herzlich. »Wie nett, Euch hier zu treffen.«
»Erinnert mich daran, dass ich irgendwann etwas richtig Widerli
ches mit euch anstelle«, antwortete Wencit. »Aber warum schaffen
wir euren Haufen nicht vorher unter ein Dach, damit ihr wenigstens
im Warmen seid, wenn ich euch in Kröten verwandle, hm?«
»Das«, erwiderte Brandark nachdrücklich, »klingt wie eine exzel
lente Idee. Allerdings«, fuhr er dann misstrauischer fort und schaute
den Zauberer skeptisch an, »haben uns bei unserer letzten Begeg
nung in einem Schneesturm fünfzig Wolfsbrüder und zwei Schwar
ze Hexer begrüßt, von denen einer auch noch ein Priester von Car
nadosa war, falls ich mich recht erinnere. Ich hoffe doch, dass Ihr
diese Überraschung nicht zu wiederholen gedenkt?«
»Nein, wo denkst du hin!« Wencit grinste wieder. »Ich war rein
zufällig in Beilhain, als dieser kleine Wind auffrischte. Es wird euch
erleichtern zu erfahren, dass meine Pläne rein gar nichts mit euch zu
tun haben. Doch da ihr nicht vor Einbruch der Dunkelheit aufge
taucht seid, beschloss ich, nach euch zu suchen, das ist alles.«
»Das ist alles, tatsächlich?«
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