Weber David - Schwerter des Zorns - 2
übersehen, dass
sie erheblich wärmer waren.
Und wenn schon, sagte sich Vaijon. Ein Edelmann muss einem hö
heren Maßstab genügen, vor allem bei wichtigen Anlässen. Mochte
der seidene Übermantel auch dünner sein, als ihm lieb war, wenigs
tens trug er noch das Lederkoller unter seinem Harnisch sowie den
mit Otterfell besetzten Umhang, den die Zofen seiner Mutter ange
fertigt hatten. Sollte der eisige Wind vor dem Kapitelhaus allerdings
die Klauen in die Stahlketten des Harnischs schlagen, würde die
Kälte seinen Koller rasch durchdringen. Aber …
Er schüttelte missbilligend den Kopf, weil er in einem solchen Au
genblick an so etwas dachte. Auch wenn sein schwaches Fleisch ihn
drängte, die Kälte zu meiden, vor allem um diese frühe Stunde, so
war die Aufgabe, die ihm zugeteilt war, doch eine große Ehre für
einen Ritterprobanden. Vaijon holte tief Luft, warf sich den Umhang
schwungvoll über die Schulter, nahm seine Handschuhe und ging
zur Tür.
Evark Pitchallow steuerte seinen Schoner mit meisterlicher Genauig
keit längsseits der Pier. Die Windsbraut glitt mit einem einzigen Ruck
an ihren Liegeplatz und küsste hauchzart die Fender, die ihren
Rumpf vor den Duckdalben schützte. Ein Dutzend Hafenarbeiter
fing die Taue auf, die ihnen die Besatzung zuwarf. Dickere Trossen
folgten, und nach einigen Minuten hatten die Männer sie um die
Poller geschlungen und eine Laufplanke von der Pier heruntergelas
sen. Sie fiel steil ab, denn das Deck des Schoners lag erheblich tiefer
als der Rand der Pier. Dicke Querleisten boten jedoch jedem, der ihn
brauchte, genügend Halt.
Evark Pitchallow überzeugte sich genau, ob die Windsbraut auch
ordentlich angetäut war, hakte dann die Daumen in seinen Gürtel
und marschierte zu seinen beiden Passagieren, die mittschiffs vor ih
ren spärlichen Habseligkeiten standen. Er baute sich vor ihnen auf,
wiegte sich auf den Fußballen, um sie genauer mustern zu können.
Bahzell lächelte auf ihn herunter.
»Ich habe selten ein ungepflegteres Paar unter die Augen bekom
men«, knurrte der Halbling nach einer Weile, was Bahzells Grinsen
nur verstärkte. »Aye, das ist ja ganz schön, so blöde grinsend hier
herumzustehen, du Fischköder! Aber dies hier ist eine große Stadt,
kein verlaustes Nest irgendwo am Ende der Welt. Und die Stadtwa
che von Belhadan ist nicht gerade dafür bekannt, Strolche besonders
wohlwollend zu behandeln. Wenn ihr meinen Rat wollt, solltet ihr
euch irgendwo verkriechen und euch zuerst einmal Kleidung besor
gen, die bei einer Inspektion durchgeht.«
»Strolche, hm?« Bahzell drückte die gespreizte Hand an seine brei
te Brust und ließ seine fuchsartigen Ohren niedergeschlagen hän
gen. »Du bist nicht gerade erpicht darauf, einen Mann mit Kompli
menten zu überschütten, hm?«
»Ha! Wenn ich euch beide Strolche nenne, ist das für echte Tu
nichtgute vermutlich eine Beleidigung!« knurrte Evark. Seine Worte
enthielten mehr als nur einen Funken Wahrheit.
Bahzells Ausrüstung war noch einigermaßen ansehnlich gewesen,
als er aus Navahk, der Hauptstadt des Reiches der Blutklingen, ge
flüchtet war. Seitdem hatte er jedoch ganz Norfressa von Norden
nach Süden durchquert, einen besonders regnerischen Herbst ausge
standen und den Einbruch des Winters erlebt. Darüber hinaus wett
eiferten die Loge der Meuchelmörder und die Anhänger von min
destens zwei Dunklen Göttern darum, ihn als Ersten zu töten, was
ebenfalls nicht spurlos an seiner Kleidung vorübergegangen war.
Die Risse, die verschiedene Schwerter, Dolche und Dämonenklauen
in seinem Umhang hinterlassen hatten, waren zwar geschickt ge
flickt worden, dennoch würden die Reparaturen bei einem Schön
heitswettbewerb wohl keinen Preis gewinnen. Seine Stiefel waren
schon vor Wochen nicht mehr zu retten gewesen, und auch die Rüs
tung hatte bessere Tage gesehen. Im Panzerhemd fehlten einige
Stahlschuppen und trotz seiner Bemühungen fingen die übrigen
Schuppen an zu rosten.
Doch so mitgenommen Bahzell auch aussah, Brandark übertraf
ihn noch bei weitem. Die Blutklinge wirkte neben Bahzell noch her
untergekommener. Erstens fehlten Brandark einige Zentimeter an
der Größe, die seinem Gefährten wenigstens eine beeindruckende
Ausstrahlung verlieh, ganz gleich, was er an seinem hünenhaften
Leib trug. Zwar war Brandark größer als die meisten Menschen und
hatte erheblich breitere Schultern, doch darauf achtete niemand,
wenn er neben Bahzell stand. Sein Kopf nämlich reichte nicht einmal
bis zur Schulter des
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