Wechsel-Wind
»Ja?«
Zur Antwort verwandelte Nimby sich in den eselsköpfigen, diagonal gestreiften Drachen. Diesmal bemerkte sie zwei Dinge, die sie vorher noch nie an ihm gesehen hatte; entweder hatte sie nicht achtgegeben, oder er hatte sich verändert. Sie vermutete, daß letzteres zutraf. Die eine Veränderung bestand darin, daß seine Schuppen leuchteten und seinen Umriß in der Dunkelheit deutlich sichtbar machten. Darüber hinaus aber waren die Schuppen auf seinem Rücken nun so angeordnet, daß sie einen Sattel bildeten.
»Du möchtest, daß ich auf dir reite?« vergewisserte sie sich.
Der Eselskopf nickte.
Er mußte einen guten Grund haben; Nimby wußte alles, was um ihn herum vorging. Deshalb gab es etwas Wichtiges, was sie in diesem Moment betraf.
Wieder nickte der Kopf.
»Du kannst ja meine Gedanken lesen!« rief Mary erstaunt aus.
Noch ein Nicken.
Also hatte er gewußt, daß sie wach war und lauschte, und war zu ihr gekommen. Aber warum? Bestand eine Gefahr?
Schon wieder ein Nicken.
Und sie konnten diese Gefahr unschädlich machen? Indem sie jetzt handelten?
Nicken.
Dann beeilten sich wohl besser. Mary trat näher an Nimby heran, kletterte an ihm hinauf und stieg in den Sattel – welcher erstaunlich bequem war. Vor ihr entsprangen merkwürdig geformte Schuppen, die sich wunderbar als Handgriffe benutzen ließen, und das mit Sicherheit nicht zufällig. Unter ihren Füßen befanden sich Stützen. Nimby war wirklich das perfekte Reittier.
Die pastellpinkfarbenen Streifen liefen rot an. »Nanu, du wirst ja rot, Nimby!« murmelte Mary. »Weil ich dir ein Kompliment erteilt habe?«
Ein verlegenes Nicken.
Dann setzte sich Nimby in Bewegung. Auch an Mary war eine mädchenhafte Pferdebegeisterung nicht vorbeigegangen, und dadurch besaß sie recht viel Reiterfahrung; nichts Herausragendes, aber sie wußte, was sie tat. Nimbys Gangart wirkte seltsam – dann weniger seltsam – und schließlich genau wie die eines guten Reitpferdes. Er paßte sich an ihre Reiterfahrung an. Mit ihm war wirklich nicht schwer auszukommen.
Nimby beschleunigte sein Tempo allmählich, und Mary versuchte angestrengt zu erkennen, wohin es ging durch die Finsternis – da leuchteten Nimbys Augen hell auf und sandten Lichtkegel aus, als wären es Frontscheinwerfer, und Mary konnte sehen, wohin sie ritt. »Danke«, murmelte sie und tätschelte eine Schuppe.
Kein Wunder, daß Chlorine dieses vielseitige und anpassungsfähige Geschöpf so gern begleitete. Das Chlorine außerdem ihr atemberaubendes Aussehen verschafft hatte. Ein außerordentlich bemerkenswertes Lebewesen war er. Nur, wie mächtig war seine Magie wirklich?
Einen Augenblick lang wirkte der Drache wegen irgend etwas nervös. Mary schaute sich um, konnte aber nichts Bedrohliches ausmachen; überdies war sie sich sicher, daß Nimby gar nicht erst zulassen würde, daß etwas Gefährliches in ihre Nähe kam. Sie nahm den Gedankengang wieder auf. Nein, machtvolle Magie allein konnte Nimby nicht erklären. Er setzte seine Gestaltwandlung und seine Gedankenlesekunst so effektiv ein, daß Mary der Verdacht kam, er könnte noch darüber hinausgehende Talente besitzen. Möglicherweise bezog er seine Kraft aus den geistigen Energien der Person, die er begleitete, und verstärkte so die eigenen Fähigkeiten. Das würde einiges erklären. Vermutlich handelte es sich in seinem Fall um ein hochspezialisiertes Tier, das zu mehr wurde als einem Tier, sobald es sich mit einem menschlichen Wesen verband.
Nimby schien sich wieder zu entspannen. Er gelangte nun offenbar an sein Ziel, denn er blieb in der Nähe eines großen, toten alten Baumes mit gespaltenem Stamm stehen. Trotz seines offenkundigen Alters wirkte das Holz fest und trocken und überhaupt nicht verrottet. Mary fühlte sich durch sein Aussehen an die beiden Stücke Kehrholz erinnert, mit denen Chlorine jenen maschinellen Plagegeist ausgeschaltet hatte, der Tweeter und Woofer gefangen hatte.
Nimby nickte bestätigend.
»Kehrholz?« fragte sie erschrocken. »Du hast mich hierhergebracht, um Kehrholz zu holen?«
Nicken.
Unvermittelt tauchte Mentia auf. »Was habt ihr beiden Süßen denn hier mitten in der Nacht vor?« fragte sie schelmisch. Dann erblickte sie den Baum. »O-oh – ich darf nicht in seine Nähe kommen!« Damit verschwand sie wieder.
»Und ich als Mundanierin kann Kehrholz handhaben, ohne daß mein magisches Talent umgekehrt wird«, begriff Mary, »denn ich habe keines. – Während ihr Xanthier alle in
Weitere Kostenlose Bücher