Wechsel-Wind
sagte Mentia.
»Aber laß dir das nur nicht zu Kopfe steigen«, warnte Mary betont.
»So weit laß ich's jedenfalls nicht kommen«, gab der Junge zurück.
»Das wäre ja ekelhaft«, meinte auch Karen. »Aber könnte es sein, daß dein Gesicht daraus gemacht ist?«
»Was ist mit meinem Gesicht?«
»Ach, nichts. Du siehst ja immer so aus.«
Manches war eben doch noch normal. Mit Freude stellte Mary bei einem Blick in den Rückspiegel fest, daß Gerte errötete. Ein wohlerzogenes Mädchen! Wenn Sean nur eine wie sie in Miami kennenlernen würde…
Nimby dirigierte sie zu einem brauchbaren Halteplatz, und Jim parkte den Wagen. »Pinkelpause!« schrie David und ergab sich der neu gewonnenen Befreiung vom Piepsen.
Sie stiegen aus und verteilten sich, um ihren diversen Bedürfnissen nachzugehen. Mentia fand derweil einen guten Kuchenbaum. Mary hätte sich etwas nahrhaftere Kost gewünscht, aber in diesem Reich mußte sie zumindest in diesem Kampf die Waffen strecken. Kuchen war einfach zu zahlreich vorhanden, bequem zu ernten und beliebt.
Nach dem Abendessen richteten sie das Wohnmobil für die Nacht her. Weder Sean noch Gerte erhoben irgendwelche Einwände gegen Marys Schlafarrangements. Anscheinend begriffen sie die Gefahren anderer Konstellationen. Alle legten sie sich schließlich zur Ruhe nieder.
Doch das Schlafen fiel Mary nicht leicht. Denn durch Nimby, Chlorine und Gerte waren die Betten belegt, und so mußten sie und Jim auf den Vordersitzen ausharren. Jim kauerte sich einfach mit seinem Kissen gegen die Tür und ratzte weg, aber Mary brauchte ihre Zeit, um sich zu beruhigen. Und natürlich hörte sie etwas.
Irgend jemand im Wohnmobil rührte sich. Ein leises Geräusch, das niemand sonst hören sollte. Mußte jemand sich erleichtern? Die Kinder waren gewarnt worden, nicht allein hinauszugehen, weil Xanth – besonders bei Nacht – gefährlich war. Der Zauberbann, der auf dem Wohnmobil lag, schenkte ihnen eine gewisse Sicherheit, aber außerhalb wirkte er nicht.
Mary wollte schon eine leise Frage stellen, entschied sich jedoch dagegen und blieb still. Sie beabsichtigte nicht, jemandem nachzuschnüffeln, aber sie wollte genau wissen, was vor sich ging. An diesem magischen Land war schon zu ›normalen‹ Zeiten genug Verstörendes, und nun machte der Zauberstaub alles noch viel schlimmer. Die Nacht setzte mit Sicherheit noch eins drauf, und das Ganze erfuhr durch ein gewisses geflügeltes Mädchen, so nett es auch sein mochte, eine weitere Steigerung in ungeahnte Höhen. Gerte liebte Sean, daran konnte kein Zweifel bestehen; das war ihr nur zu deutlich anzumerken. Aber darin lag auch wieder eine Komplikation: Stand Gerte auf, um einen einsamen Rundflug in der Nacht zu unternehmen oder um mit Sean allein zu sein? War letzteres der Fall, so bestand nur wenig Zweifel, was die beiden vorhatten. Also sollte Mary ihnen doch besser nach draußen folgen und ihre Gegenwart kundtun, um so etwas von Anfang an zu unterbinden.
Die Seitentür wurde erstaunlich leise geöffnet und dann wieder geschlossen. Jemand hatte das Wohnmobil verlassen. Aber wer? Dem Geräusch nach zu urteilen, eine einzelne Person; es war auch nicht geflüstert worden. Das legte nahe, daß es sich gar nicht um Sean und Gerte gehandelt hatte. Wer aber war dann ausgestiegen? Und wieso?
Jemand klopfte ganz leise an ihr Fenster. Mary zuckte zusammen. Wer immer ausgestiegen war, wollte sich nicht verstecken, sondern gab ihr ein Zeichen!
Sie schaute hin. Es war Nimby. Aha. Er folgte seinen eigenen Regeln und fühlte sich mit Sicherheit nicht an die ihren gebunden. Aber was war mit Chlorine? Wenn Nimby und Chlorine miteinander schlafen wollten, dann ging das Mary an sich nichts an, und sie würde sich auch nicht einmischen, solange es nicht in Sichtweite der Kinder stattfand. Aber Chlorine hatte ihr Bett nicht verlassen; Mary konnte nämlich ihr typisches Atemgeräusch hören. Chlorine schlief.
Nimby winkte ihr. Was konnte er von ihr wollen? Nun, das würde sie schon herausfinden. Er war ein eigenartiger Kauz und in Wirklichkeit ein Drache, aber Mary fürchtete sich nicht vor ihm. Wenn er ihnen schaden wollte, dann hätte er dazu so viele Gelegenheiten gehabt… Ganz sicher war sie für ihn kein Objekt romantischer Gefühle; nicht, wo er Chlorine hatte. Also mußte es um etwas anderes gehen.
Leise öffnete sie die Beifahrertür und stieg aus, dann schloß sie sie ebenso leise wieder hinter sich. Sich zu Nimby umdrehend, fragte sie flüsternd:
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