Wechsel-Wind
Stimme eines außerordentlich nervösen Piloten. »Bitte bleiben Sie auf den Sitzen. Machen Sie sich mit den Notlandungsmaßnahmen vertraut, und stellen Sie sicher, daß Sie wissen, wo die nächste Notluke sich befindet.« Dann gab es einen weiteren Windstoß, damit das Ganze noch realistischer wirkte. »Wiederhole: Es besteht Grund – ich meine, kein Grund zur Besorgnis.« Als könnte der Kapitän eine Ankündigung wiederholen, obwohl er sie gar nicht gemacht hatte, als würde er vollends die Nerven verlieren.
Karen kicherte, aber hinter der lustigen Fassade begann sie allmählich nervös zu werden. Nach einem Wochenendbesuch bei Freunden in Key West befanden sie sich auf dem Heimweg über die Dammstraße, die die Keys, die zahlreichen Koralleninseln vor der Küste Florida, miteinander verband. Wegen des Herannahens von TS Gladys waren sie früher als geplant aufgebrochen. Sie mußten noch eine weite Strecke über die ungeschützte und von Brücken unterbrochene Dammstraße fahren, bis sie zu Hause in Miami ankamen, und die See sah immer beunruhigender aus. Was, wenn einer dieser Windstöße sie ins Meer blies?
Die Motoraussetzer häuften sich. »Lange kann ich ihn nicht mehr am Laufen halten«, sagte Dad finster. »Ist das da vorn eine Kreuzung?«
»Ja, und die andere Straße verläuft längs von Big Pine«, sagte Mom, die sich ganz auf die Karte konzentrierte. »Vielleicht finden wir dort einen Unterschlupf.«
An der Kreuzung steuerte Dad das Wohnmobil nach Norden.
Der Wind zerrte an dem Fahrzeug und wollte es von der Straße abbringen, aber Dad ließ das nicht zu. Dann schoß ein Regenschwall auf den Wagen hinab und ließ die Welt draußen dunkel werden. Karen konnte durch das Seitenfenster so gut wie nichts mehr erkennen und bezweifelte, daß Dad mit der Windschutzscheibe irgendwie besser dran war. Das wurde ja richtig schlimm! Bisher hatte sie die Fahrt genossen und war von der Aussicht auf einen schweren Sturm begeistert gewesen, aber die freudige Erregung begann zu verebben und wurde schal. Die ganze Sache machte ihr langsam angst, und dabei war das noch nicht einmal ein echter Hurrikan. Karen argwöhnte allmählich, daß diese Wirbelstürme im Grunde gar nicht so ein toller Spaß waren, wie die Reklame versprach.
»Ich sehe nichts, wo wir anhalten könnten«, brummte Dad. »Was ist das denn – noch eine Biegung?«
»Irgendwo da vorn muß eine Kreuzung mit der 940 sein«, antwortete Mom in jenem sorgfältig kontrollierten Ton, der Karen stets ganz besonders nervös machte. Selbst die beiden Jungen hatten mit ihren Witzeleien aufgehört. Es war einfach zu simpel, sich das Wohnmobil vorzustellen, wie er als Flugzeug bei schlechtem Wetter absank, und Karen wünschte, sie hätte nicht andauernd dieses Bild vor Augen.
»Eine Kreuzung? Ich kann sie nicht sehen«, sagte Dad. »Aber irgendwo muß es doch ein größeres Gebäude geben, das wir als Deckung benutzen können. Ich will nur nicht anhalten, bis wir eine gute Stelle finden, weil ich den Motor vielleicht nicht mehr anbekomme.«
Das Wohnmobil hinkte weiter und widerstand irgendwie den Böen. Dann brach aus Mom ein erstickter Ausruf hervor – von der schlimmsten Sorte. Nun hatte sie Angst, und sie war nicht leicht zu verängstigen. »Jim…«
»Wieso ist da vorn denn eine Brücke?« fragte Dad.
»Es gab zwei Straßen«, sagte Mom. »Ich dachte, wir wären nach links abgebogen, aber wir müssen auf der rechten sein. Die Brücke führt hinüber nach No Name Key.«
»Na, ganz egal, welchen Namen sie hat oder nicht hat, los geht's.«
Als draußen wieder Land zu erkennen war, seufzte Karen erleichtert auf. Sie spähte nach vorn, durch die Windschutzscheibe, und sah ein Schild, auf dem ROCKWELLS geschrieben stand. Dann eins, das NO NAME lautete. Sie waren in der Tat auf No Name Key.
Und noch immer kein Unterstand. Schließlich keuchte der Motor ein letztes Mal auf, dann kam der Wagen zum Stehen. Also würden sie, ob es ihnen nun gefiel oder nicht, eine Weile hier bleiben, hier auf der namenlosen Koralleninsel. Mom erlaubte Dad nicht einmal, auszusteigen und nach dem Motor zu sehen, denn mittlerweile flogen Gegenstände durch die Luft; der Wind machte Geschosse aus allem, was ihm in den Weg kam. Sie konnten nichts anderes tun als warten, daß der Sturm vorüberging.
»Sichere Bauchlandung«, erklärte Sean. »In abgelegenem Gebiet. Machen Sie sich keine Sorgen; wir werden ganz bestimmt gerettet, bevor die Kopfjäger uns finden.« Aber niemand wollte
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