Wechsel-Wind
so recht darüber lachen.
Sie beschäftigten sich damit, Sandwiches zu machen und Lieder zu singen, gaben vor, sie seien bei einem Picknick, während draußen der Wind heulte und die Nacht sich um sie schloß wie die Kiefer eines hungrigen Monsters. Das Wohnmobil wurde so häufig durchgeschüttelt, daß sie die regelmäßigen Bewegungen am Ende gar nicht mehr wahrnahmen.
Dann ließ der Sturm ein wenig nach. Eilig kümmerten sie sich ums Notwendigste: Dad sah nach dem Motor, und die Kinder nahmen ihre Haustiere an die Leine und ließen sie im Freien ihre Notdurft verrichten. Für Tweeter war das natürlich nicht erforderlich, aber Karen nahm ihn trotzdem aus dem Käfig und kraulte ihn vorsichtig mit beiden Händen, um ihn ein wenig zu beruhigen. Er rieb mit dem Schnabel gegen ihre Nase – so küßte er sie. Bei jemand anderem machte er das nicht, und das war auch schon das einzige Kunststück, das sie ihm je beibringen konnte, aber das reichte. In Wahrheit beruhigte Tweeter sie ebensosehr wie sie ihn.
Die Böen nahmen wieder zu, und ihnen wohnte eine Kraft inne, die darauf hindeutete, daß es nun schlimmer kommen würde als zuvor. Alles eilte in das Wohnmobil zurück. Dad hatte den Motor nicht reparieren können – so eine Überraschung! –, aber er hatte Felsen gesammelt und damit die Räder blockiert. Dadurch stand der Wagen wenigstens etwas stabiler. Mom schaltete kurz das Radio ein, gerade lang genug, um den Wetterbericht zu hören.
»… muß innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden mit einem Anwachsen zu minimaler Orkanstärke gerechnet werden«, hörte Karen und mußte hysterisches Gelächter unterdrücken. Wenn das dort draußen noch nicht einmal minimal war, dann wollte sie das Maximum wirklich nicht erleben! »… vierundzwanzig Komma fünf Grad nördlicher Breite, einundachtzig Komma drei Grad westlicher Länge und bewegt sich mit zehn Meilen pro Stunde nach Nordnordwesten.«
Mom verfolgte die Richtung auf der Karte und schrie auf. »Das ist hier!« rief sie. »Er kommt direkt auf uns zu!«
»Na, im Auge des Sturms ist es am sichersten«, sagte Dad in dem Versuch, beruhigend zu sein; der Versuch scheiterte.
Nichts anderes war zu tun als abzuwarten. Sie bezweifelten, daß es sicher sei, die Betten zu benutzen, deshalb machten sie es sich in ihren Sitzen so bequem wie möglich und schliefen, so gut es unter den Umständen möglich war. Weil es wohl keinen Sinn hatte, die Tiere wieder einzusperren, ließen sie sie frei im Wagen laufen. Woofer rollte sich zu Seans Füßen zusammen, und Midrange legte sich auf Davids Schoß. Tweeter, den es nervös machte, daß Midrange frei war, beschloß, sich in die Sicherheit seines Käfigs zurückzuziehen. Midrange hatte zwar noch nie versucht, dem Vogel etwas anzutun, aber Karen konnte seine Besorgnis verstehen.
Die Wettervorhersage traf ein: Bald verebbten die Böen, und es war draußen absolut windstill. Dennoch wußten sie es besser: nicht das Fahrzeug verlassen, denn es konnte jeden Augenblick wieder losgehen. Eine Weile lang lauschte Karen der Stille, dann fiel sie in Schlaf.
Bei Dämmerung wurde sie von den Winden geweckt. Am Himmel war keine Sonne zu sehen, nur eine immer heller werdende Turbulenz. Vor ihrem geistigen Auge sah sie aufgeplusterte Wolken, die das Wohnmobil umkreisten und Pfeile darauf abfeuerten. Da die Pfeile aber nur aus Nebel bestanden, richteten sie keinen Schaden an. Aber wenigstens ließen die Böen nach, und offenbar war das Schlimmste vorbei. Das Wohnmobil war weder umgestoßen noch ins Meer geweht worden, und Karen konnte ihr Erlebnis wieder als Abenteuer betrachten.
Als das Licht immer heller wurde, rührten sich die anderen und benutzten nacheinander die Campingtoilette des Wohnmobils. Dann machte Mom sich daran, den Frühstückstisch zu decken, während Dad nach draußen ging, um noch einmal nach dem Motor zu sehen.
»Yo!« rief er überrascht.
Karen, die gerade nichts zu tun hatte, sauste zu ihm, mit Tweeter, der auf einem ihrer Finger hockte. Und blieb erstaunt in der Tür stehen.
Draußen hatte sich alles verändert. Sie befanden sich mit einemmal an der Küste einer großen Insel. Nicht weit vom Wohnmobil stand ein Baum, der anscheinend aus Metall bestand und als Früchte Hufeisen trug. Und nicht weit von dem Baum stand das seltsamste Pferd, das Karen je gesehen hatte. Es war ein Hengst mit normalem Hinterleib, aber vorn erhob sich der Rumpf eines Mannes komplett mit Armen und Kopf. Um den Oberkörper waren
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