Weg da das ist mein Fettnapfchen
Seht ihr diese Tür dort?«, fuhr sie fort und zeigte auf die breite Schiebetür an der Seite des Fahrzeugs, während sie unsere Einkäufe in den Kofferraum lud. »Es dauert gerade mal zwei Sekunden, diese Tür aufzuschieben, euch zu packen, hineinzuzerren und sie wieder zuzumachen. Niemand würde etwas merken. Wenn ihr unbedingt geki dna ppt werden wollt, geht hübsch langsam daran vorbei. Aber wenn ihr lieber weiterleben wollt, nehmt die Beine in die Hand und lauft!«
Ich nahm mir die Ratschläge meiner Mutter immer zu Herzen. Bis zum heutigen Tag trinke ich nicht aus demselben Glas wie mein Mann, und er wird ohne zu zögern zugeben, dass er mein Dekolleté aus einem Defilee an Brüsten nicht auf Anhieb erkennen würde. Darüber hinaus bin ich, die eindringlichen Warnungen meiner Mutter stets im Ohr, mein halbes Leben an jedem Transporter vorbeigerannt, als würde ich von einer Horde Löwen gejagt, aus Angst, irgendwo in der Einöde von Utah zu enden und im Partnerlook mit der Zweitfrau meines Mormonen-Ehemanns in einem bunt bedruckten Baumwollkleid andere Leute um Kleingeld anhauen zu müssen, nur weil ich nicht schnell genug gewesen bin. Als ich zwanzig war, legte meine Mutter die Latte noch ein bisschen höher und warnte mich, dass die Transportertypen meist im Zweierteam oder mit unabhängigen Zulieferern arbeiteten, sodass ich auch einen weiten Bogen um zwei große, nebeneinandergeparkte Fahrzeuge mit einem Meter Platz dazwischen machen sollte.
»Zwei gegen einen«, sagte sie. »Und denen ist es völlig egal, wie hässlich deine Frisur ist. Ich würde dich wahrscheinlich in Ruhe lassen, aber die Transportertypen sind da nicht so wählerisch.«
Ihre Unkenrufe verfolgten mich regelrecht. Wenn ich selbst heute noch sehe, dass sich die einzige freie Lücke auf dem Supermarktparkplatz zwischen zwei Transportern befindet, stehen die Chancen gut, dass wir bei Pizza Hut zu Abend essen und ich erst am nächsten Tag Milch einkaufen fahre.
Zur Verteidigung meiner Mutter muss ich allerdings sagen, dass sie der ordentlichste Mensch ist, den ich kenne. Bei uns zu Hause könnte man jederzeit vom Boden essen, und deshalb ist für ihre Begriffe so gut wie alles schmutzig. Ich habe sie schon in Krankenhäusern beim Anblick der dreckigen Fußleisten vor Ekel zusammenzucken sehen. Ich kann mich nicht erinnern, während meiner gesamten Kindheit auch nur ein Staubkörnchen oder einen Brotkrümel auf dem Boden gesehen zu haben, ebenso wenig wie Schmutzschlieren an den Fenstern oder an den raumhohen Spiegeln im Flur. Leider habe ich bei der Vergabe des Reinlichkeitsgens gefehlt und stattdessen nur das für die Haare auf den Zehen mitbekommen.
Außerdem ist sie in Brooklyn aufgewachsen und hat tagtäglich sonderbare Menschen sonderbare Dinge tun sehen, und als wir in den Siebzigern aus New York wegzogen, hatte die Sonderbarkeit dieser Stadt ihren absoluten Höhepunkt erreicht, was unter Garantie nicht spurlos an ihr vorübergegangen ist. Natürlich ist das nur so eine Theorie von mir, und ich habe ein halbes Leben lang gebraucht, um sie zu entwickeln, aber ich glaube trotzdem fest daran. »Normalität« ist das A und O für meine Mutter. Gleichzeitig ist sie ein äußerst nüchterner, sachlicher Mensch, und wenn sie auf etwas stößt, was sie als gefährlich oder »unnormal« empfindet, zögert sie keine Sekunde, das Übel auszumerzen oder im Keim zu ersticken.
Beispielsweise sah mein fünfjähriger Neffe kürzlich eine schwangere Frau und fragte meine völlig unvorbereitete Schwester, diejenige, die sich damals in den Fünf-Meter-Radius des Transporters gewagt hatte: »Und wo kommt das Baby raus?«
»Im Krankenhaus«, antwortete meine Mutter wie aus der Pistole geschossen.
Ich will nicht behaupten, dass an ihr eine Meisterstrategin verloren gegangen wäre, denn es gab Zeiten, in denen sie ihr Instinkt im Stich ließ, und aus einem Impuls heraus zu handeln erweist sich nicht unbedingt immer als positiv. Zum Beispiel, wenn man sich mit seiner vierzehnjährigen Tochter darüber streitet, wer abends den Tisch deckt, und es am folgenden Sonntag brühwarm dem Pfarrer erzählt. Ehe man sich’s versieht, sitzt man in einem Mutter-Tochter-Seminar im Hinterzimmer der Kirche, um die angeschlagene Beziehung wieder zu kitten, die dieser rebellische und schwer erziehbare Teenager unverschämterweise torpediert.
Ich glaube zwar nicht, dass ich ausgetrickst wurde, aber ich kann mit ziemlicher Gewissheit sagen, dass ich mich nicht
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