Weg da das ist mein Fettnapfchen
freiwillig gemeldet habe, zwei Tage mit meiner Mutter in einer Nonnenzelle zu hausen und mich von den Mahlzeiten der städtischen Essensausgabe ernähren zu müssen. Ich weiß ganz sicher, dass ich mich nie im Leben freiwillig bereit erklärt hätte, zu fünf von sechs Mahlzeiten grüne Bohnen aus der Dose zu essen. Aber wenn man vierzehn ist und die Eltern sagen: »Du wirst das Wochenende mit deiner Mutter in der Kirche verbringen und lernen, dich wie ein normaler Teenager zu benehmen«, tut man es eben. Alternativen gab es nicht. Meine Mutter hingegen freute sich sogar auf das Wochenende und konnte es kaum erwarten, die Ursache meines Problems zu beheben und mir meine Widerspenstigkeit auszutreiben, die mich im Würgegriff hatte, seit ich einen BH trug und die Hormone in meinem Körper wie eine Horde wild gewordener Mongolen tobten.
Wenn sie dem Pfarrer erst einmal unsere Probleme dargelegt hätte – meine mangelnde Reinlichkeit, meine schnoddrige Art und die Tatsache, dass ich auf Parkplätzen nicht schnell genug an Transportern vorbeirannte, was ein klares Indiz dafür war, dass ich einem Leben in der Abnormalität und folglich dem Staub und Schmutz geweiht war –, würden sämtliche Teilnehmer des Böse-Tochter-Camps ihr uneingeschränktes Bedauern und aufrichtiges Mitleid bekunden. Sie wusste es. Sie war bereit dafür. Und sie würde sich nicht mit weniger zufriedengeben.
Eine Stunde nachdem wir eingecheckt und unsere Koffer in den Nonnentrakt gezerrt hatten, saßen wir auf Metallklappstühlen in der Runde unseres »Gesprächskreises«.
Meine Mutter zeigte es zwar nicht, aber ich gehe davon aus, dass sie die Geschichten der anderen Mädchen im Böse-Tochter-Camp einigermaßen überraschten: Eine war heroinabhängig, die Zweite war von zu Hause ausgerissen und hatte in einem Tunnel gehaust, eine andere hatte bei einem Raubüberfall auf einen kleinen Lebensmittelladen jemanden mit einem Druckbleistift niedergestochen, und bei einer gehörte die Teilnahme an dem Seminar zu den Auflagen für ihre Entlassung aus dem Jugendgefängnis.
Schließlich waren wir an der Reihe, unsere »Geplagte Mutter/Böse Tochter-Geschichte« zu erzählen. Hätte uns jemand nur mit einer einzigen Silbe gewarnt, wäre das Ganze womöglich halbwegs gut ausgegangen. Wir hätten uns zusammengesetzt und uns vorbereitet, doch nun entpuppte sich das Ganze als blanke Katastrophe. Ich kann nicht für meine Mutter sprechen, aber ich spürte förmlich, wie die Stimmung auf den Nullpunkt sank und sich allgemeiner Frust breitmachte, als meine Mutter zu ihrem dramatischen Geständnis anhob, ich würde, statt mein Zimmer (einschließlich Fußleisten) anständig zu putzen, ständig nur meine Sachen in den Schrank oder unters Bett stopfen. Das sei »doch nicht normal«, meinte sie. Ich glaube mich zu erinnern, dass die anderen Mütter genervt die Augen verdrehten, und eine verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Meine Mutter versuchte, das Ruder herumzureißen, indem sie einfließen ließ, dass ich im Verdacht stand, heimlich geraucht und mir von meinem Babysittergeld eine AC/DC -Platte gekauft zu haben, aber es war längst zu spät. Unsere einzige Hoffnung auf Rettung wäre gewesen, wenn sie in die Vollen gegriffen und das Wort »Zuhälter« in ihre lächerliche Schilderung hätte einfließen lassen. Doch hätte dies in der Gegenwart eines Priesters allzu weitreichende Konsequenzen gehabt, obwohl selbst er zu Tode gelangweilt zu sein schien. Beim Lagerfeuer der Pfadfinder hätte ich garantiert voll abgeräumt, aber hier, im Verbrecherinnen-Camp, war mit meiner lächerlichen Geschichte kein Blumentopf zu gewinnen. Ich wünschte fast, ich hätte jemandem mit einer Glasscherbe die Niere herausgesäbelt oder irgendetwas abgefackelt, und wenn es nur mein Schlafanzug mit den Affen drauf war, damit ich in die Gruppe gepasst und mit den anderen Mädchen in der Pause etwas zu reden gehabt hätte. Stattdessen konnte ich nur dasitzen und murmeln: »Ja, ich widerspreche meiner Mutter. Das habe ich schon ein paarmal getan.«
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, sollten wir uns nach jedem »Durchbruch« alle umarmen; sprich, als sich ein Mutter-Tochter-Gespann darauf einigte, dass die Tochter fortan Methadon konsumieren würde (obwohl Kokain noch nicht ganz vom Tisch war); als festgelegt wurde, die Alarmanlage vom Fenster der Tochter abzumontieren, wenn sie sich bereit erklärte, nicht mehr heimlich hinauszuklettern; oder als der Deal besiegelt
Weitere Kostenlose Bücher