Weg der Träume
Miles langsam, »haften Sie heute viele Besucher?«
»Wie immer«, erwiderte Ms. Harkins. Ihre Stimme war heiser, als habe sie ihr Leben lang geraucht. »Sie wissen ja, wie das ist.«
Sie blickte Miles aus zusammengekniffenen Augen an, als könne sie ihn nicht gut erkennen. »Sie wollen sicher die Geschichte von Harris und Kathryn Presser hören?«
»Ich finde, meine Begleiterin sollte sie hören«, sagte Miles feierlich und deutete auf Sarah.
In Ms. Harkins' Augen stahl sich ein Funkeln, und sie griff nach der Teetasse, die neben ihr stand.
Miles legte den Arm um Sarahs Schulter und zog sie an sich. Sarah spürte, wie sie sich bei seiner Berührung entspannte.
»Es wird dir gefallen«, flüsterte Miles ihr zu. Sein Atem an ihrem Ohr verursachte ein Kribbeln auf ihrer Haut.
Es gefällt mir jetzt schon, dachte sie.
Ms. Harkins setzte die Teetasse ab. Als sie sprach, war ihre Stimme nur noch ein Wispern.
»Geister gibt es, und es gibt Liebe, Sie weilen hier seit Jahr und Tag. Lauscht der Geschichte, denn sie erzählet Von wahrer Liebe und was sie vermag.«
Sarah gab Miles verstohlen einen Kuss auf die Wange.
»Harris Presser«, begann Ms. Harkins, »wurde 1843 geboren. Seine Eltern besaßen in New Bern einen kleinen Kerzenladen. Wie viele junge Männer jener Zeit wollte sich Harris im Unabhängigkeitskrieg den Konföderierten anschließen. Aber seine Mutter und sein Vater flehten ihn an, nicht wegzugehen, denn er war ihr einziger Sohn. Indem er ihren Wunsch befolgte, besiegelte Harris Presser sein Schicksal.«
Ms. Harkins machte eine Pause und sah zu ihnen herüber.
»Er verliebte sich.«
Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Sarah, ob Ms. Harkins damit auch sie beide meinte. Ms. Harkins hob die Augenbrauen, als hätte sie ihre Gedanken gelesen, und Sarah wandte den Blick ab.
»Kathryn Purdy war erst siebzehn, und wie Harris ein Einzelkind. Ihre Eltern besaßen das Hotel und das Sägewerk und waren die reichsten Leute der Stadt. Sie verkehrten nicht mit den Pressers, aber beide Familien gehörten zu denen, die in der Stadt blieben, als New Bern 1862 an die Union fiel. Trotz des Krieges und der Besatzung trafen sich Harris und Kathryn an den Frühsommerabenden am River Neuse, bis Kathryns Eltern dahinter kamen. Sie waren ärgerlich und verboten ihrer Tochter, Harris wiederzusehen, denn die Pressers gehörten zu den ärmeren Leuten. Doch das Verbot schmiedete das junge Paar nur noch enger zusammen. Es war allerdings nicht leicht für die beiden, sich zu treffen. Bald entwarfen sie einen Plan, wie sie den wachsamen Augen von Kathryns Eltern entgehen konnten. Harris blieb im Kerzenladen seiner Eltern und wartete auf ein Zeichen. Wenn Kathryns Eltern schliefen, stellte sie eine brennende Kerze auf das Fensterbrett, und dann stahl sich Harris zu ihr. Er kletterte den massiven Eichenstamm vor ihrem Fenster hoch und half ihr herunter. Auf diese Weise trafen sie sich, so oft sie konnten.«
Ms. Harkins nippte an ihrem Tee und kniff die Augen zusammen. Dann senkte sie ihre Stimme erneut.
»Inzwischen hielten die Unionstruppen den Süden immer fester im Griff. Aus Virginia kamen schlimme Nachrichten, und man hörte Gerüchte, dass General Lee mit seiner Armee aus Nordvirginia kommen und versuchen würde, North Carolina für die Konföderierten zurückzugewinnen. Eine Ausgangssperre wurde verhängt, und alle, die abends draußen erwischt wurden, besonders junge Männer, liefen Gefahr, erschossen zu werden. Weil Harris Kathryn nicht mehr sehen konnte, arbeitete er absichtlich noch spätabends im Geschäft seiner Eltern und zündete im Fenster eine Kerze an, damit Kathryn wusste, dass er sich nach ihr sehnte. Wochenlang ging es gut, bis er eines Tages Kathryn durch einen mitfühlenden Pfarrer einen Brief zuschmuggelte und sie bat, mit ihm durchzubrennen. Wenn ihre Antwort ja lautete, sollte sie zwei Kerzen ins Fenster stellen - eine für ihr Einverständnis und die zweite, wenn er ungefährdet zu ihr kommen konnte.
In jener Nacht brannten zwei Kerzen, und ge gen alle Widerstände wurden sie bei Vollmond noch in derselben Nacht von dem freundlichen Geistlichen getraut, der den Brief befördert hatte. Sie hatten für die Liebe ihr Leben riskiert.
Doch unglücklicherweise entdeckten Kathryns Eltern einen anderen gehe imen Brief, den Harris geschrieben hatte. Wutentbrannt forderten sie von Kathryn eine Erklärung. Kathryn erwiderte trotzig, sie könnten nichts mehr gegen ihre Verbindung tun. Leider behielt sie
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