Weg des Zorns 01 - Die Kriegerin
hochleistungsfähigen Optik-, Thermo- und Elektronik-Passivsensoren dieser Sonden leiteten sämtliche Daten unmittelbar an die Helmcomputer der jeweils zuständigen Marines weiter. Diese Computer übersetzten die Daten dann in detaillierte Graphiken, und das individuell in das Format, das jeder einzelne Marine am leichtesten verarbeiten konnte. Einige Marines, das wusste Alicia, zogen
Drahtmodelldarstellungen und taktische Icons vor. Sie selbst konnte eine direkte, gewöhnliche Graphik ohne jegliche Icons deutlich besser verarbeiten, und so erhielt sie mit einem Mal das Gefühl, etwa fünfzig Meter südlich und vierzig Meter oberhalb ihrer eigentlichen Position reglos mitten in der Luft zu schweben: Sie betrachtete das kristallklare Bild des ersten Gebäudes in dem ihr zugewiesenen Sektor.
Ein geistiger Befehl sorgte dafür, dass die Fernsonde ihre Position geringfügig korrigierte, dann zoomte sie auch schon auf die Panoramafenster eines Büros im sechsten Stockwerk eines Hochhauses. Auf der anderen Seite der Fensterscheibe befanden sich vier Personen, und die Sensoren der Fernsonde hatten eindeutig deren Waffen identifiziert. Die Fremden machten sich gerade bereit, ihrerseits Schusspositionen einzunehmen; aufmerksam spähten sie auf die Straße hinunter. Im Gegensatz zu Alicia sahen sie nicht das Geringste, und so erteilte Alicia ihrem Computer einen weiteren Befehl.
Vor ihrem geistigen Auge erschien jetzt ein Fadenkreuz. Noch befand es sich in der unteren rechten Ecke ihres Blickfeldes, doch als sie ihr M-97 hob, glitt das Fadenkreuz immer weiter auf ihr Ziel zu, ohne dass Alicia ein einziges Mal die Augen öffnen musste. Zu den - zumindest für die meisten - schwierigsten Aspekten der Scharfschützenausbildung in Camp Mackenzie gehörte, eine Handfeuerwaffe ausschließlich anhand der Daten einer Fernsonde auszurichten, genau so, wie Alicia das gerade tat. Einer Person wie ihr, die vollständig kompatibel mit einem SynthoLink war, fiel das deutlich leichter, da die Daten der Fernsonde eben unmittelbar in das Gehirn eingespeist wurden, ohne dass zuvor noch eine wie auch immer geartete Sinnesorgan-Schnittstelle benötigt wurde. Natürlich hieß das immer noch nicht, es sei einfach - nicht einmal Alicia fiel es wirklich leicht. Doch es war nun einmal Tradition im Corps, dass jeder Marine zunächst zum Scharfschützen ausgebildet wurde, und so hatte auch sie ihre Lektion gelernt, einfach oder nicht. Sie hatte diese Lektion so gründlich gelernt, hatte sie so verinnerlicht, dass sie nicht einmal darüber nachdenken musste, während das Fadenkreuz geschmeidig über ihr Blickfeld wanderte, bis es genau auf die Personen ganz rechts im Raum gerichtet war - ganz wie Alicia das gewollt hatte.
Kurzzeitig zog sie in Erwägung, den Granatwerfer einzusetzen, doch dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Das M-97 nutzte eine Treibladung, die fast unsichtbar war, und zusammen mit der Mündungsfeuerblende war es damit äußerst schwierig, dieses Mündungsfeuer überhaupt auszumachen, selbst noch im Dunkeln - es sei denn, man befand sich im Inneren eines relativ schmalen Kegels unmittelbar vor der Waffe. Der Granatwerfermodus dieser Waffe hingegen hätte für jeden Zuschauer in diesem Gebäude eine helle, schnurgerade Linie auf ihre eigene Schussposition entstehen lassen. Und das bedeutete, dass sich Alicia es eben doch nicht ganz so einfach machen konnte.
Das Fadenkreuz war jetzt auf die Kehle ihres Zieles gerichtet. Alicia atmete tief ein, dann langsam wieder aus und krümmte den Finger langsam und gleichmäßig ab.
Der Rückstoß der Waffe kam fast überraschend - genau wie es sein sollte -, und ihr Ziel - nein: der Mensch!, auf den sie geschossen hatte - sackte augenblicklich zu Boden, als hätte man jeden einzelnen Knochen aus seinem Körper entfernt. Zu hören war nichts, außer dem weichen, schwammigen Einschlag des Hochgeschwindigkeitsgeschosses.
Alicia bemerkte sehr wohl auch die anderen Personen in diesem Raum. Sie bemerkte alles, sah es mit geradezu göttlicher Klarheit: Nicht das Geringste entging ihr. Doch sie konzentrierte sich ganz auf die Aufgabe, die vor ihr lag, und so ließ sie das Fadenkreuz einen Meter weiter nach links wandern. Jetzt lag es genau über dem Scharfschützen, der sich gerade zu seinem zusammengesackten Kameraden umdrehte; der dumpfe, teigige Einschlag hatte ihn aufgeschreckt. Erneut krümmte Alicia den Finger ab.
Zwei, sagte eine eisige, teilnahmslose Stimme in ihrem Hinterkopf, als sie
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